Chomsky Profit over People.pdf

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Einleitung
von Robert W. McChesney
Der Neoliberalismus ist das vorherrschende Paradigma der politischen Ökonomie unserer Zeit - es
bezieht sich auf die Politik und die Prozesse, mittels derer es einer relativ kleinen Gruppe von
Kapitaleignern gelingt, zum Zwecke persönlicher Profitmaximlerung möglichst weite Bereiche des
gesellschaftlichen Lebens zu kontrollieren. Ursprünglich galten Reagan und Thatcher als die
Hauptvertreter neollberaler Politik, doch seit zwei Jahrzehnten ist der Neoliberalismus weltweit auf dem
Vormarsch, und seine Prinzipien sind von Parteien der Mitte ebenso übernommen worden wie von
denen der traditionellen Linken und Rechten. Diese Parteien vertreten mit ihrer Politik die Interessen
von kapitalkräftigen Investoren und knapp eintausend Großkonzernen dieser Welt.
Außerhalb der Universitäten und der Geschäftswelt ist der Begriff »Neoliberalismus« vor allem in den
USA der breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt. Hier gelten neollberale Initiativen vielmehr als
Ausdruck einer Politik des freien Marktes, die das private Unternehmertum fördert,
konsumentenorlentiert handelt, persönliche Verantwortung und unternehmerische Tatkraft belohnt und
sich gegen alle Übergriffe einer inkompetenten, bürokratischen und parasitären Regierung, von der
nichts Gutes zu erwarten ist, zur Wehr setzt. jahrzehntelange Werbekampagnen, finanziert von
Großkonzernen,
haben diesen Begriffen eine fast sakrale Aura verliehen, so dass die damit verbundenen
Forderungen kaum noch der Verteidigung bedürfen. Inzwischen lässt sich mit neoliberalen
Vokabeln alles Mögliche begründen - Steuererleichterungen für Wohlhabende, Reduzierung
der Massnahmen zum Umweltschutz, Zerschlagung staatlicher Bildungs- und
Wohlfahrtsprogramme. Mittlerweile ist jede Aktivität, die an die gesellschaftliche
Vorherrschaft der Konzerne rührt, automatisch verdächtig, weil sie die Mechanismen des
freien Marktes, der einzig vernünftigen, fairen und demokratischen Instanz für die Verteilung
von Gütern und Dienstleistungen, gefährden könnte. Rhetorisch besonders versierte Vertreter
des Neoliberalismus tun so, als erwiesen sie mit ihrer Politik für die Wohlhabenden allen
anderen, den Armen und der Umwelt noch einen Riesengefallen.
Die ökonomischen Folgen dieser Politik sind überall dieselben und zeitigen, was ohnehin zu
erwarten war: massive Zunahme sozialer und ökonomischer Ungleichheit, gravierende
Rückschläge für die ärmsten Nationen und Völker der Welt, die katastrophale
Verschlechterung der globalen Umweltbedingungen, eine instabile Weltwirtschaft - aber
munter sprudelnde Quellen wachsenden Reichtums für die Wohlhabenden. Dessen ungeachtet
behaupten die Neoliberalen, dass auch die breiten Massen von dieser Strategie profitieren
werden, allerdings müsse die neoliberale Politik - die indes für die Verschärfung der Probleme
verantwortlich ist - unangetastet bleiben.
Letztlich geht es den Neoliberalen nicht um die empirische Begründung ihrer Politik, sondern
um einen durchaus religiös zu nennenden Glauben an die Unfehlbarkeit des unregulierten
Marktes. Ihre Überzeugung untermauern sie mit Theorien, die aus dem 19. Jahrhundert
stammen und mit der heutigen
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Welt wenig zu tun haben. Ihre letzte Trumpfkarte ist jedoch der Mangel an Alternativen. Für
die Neoliberalen haben kommunistische und sozialdemokratische Regierungen ebenso versagt
wie gemässigte Wohlfahrtsstaaten a la USA, so dass die Bürger dieser Länder den
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Neoliberalismus als einzig gangbaren Weg akzeptiert haben. Er mag nicht vollkommen sein,
ist jedoch das einzig praktikable Wirtschaftssystem.
In den dreissiger Jahren wurde der Faschismus bisweilen als »Kapitalismus ohne Maske«
bezeichnet, d. h. als reiner Kapitalismus ohne demokratische Rechte und Organisationen. Wir
wissen, dass diese Definition zu einfach ist, aber auf den Neoliberalismus trifft sie zu: Er ist
tatsächlich ein »Kapitalismus ohne Maske«, repräsentiert er doch eine Epoche, in der die
Wirtschaftsmächte stärker und aggressiver sind und auf weniger organisierten Widerstand
treffen als je zuvor. Begünstigt durch das politische Klima sind sie dabei, ihren Einfluss
bereich an allen Fronten zu erweitern, wodurch sie immer unangreifbarer werden, während
demokratischen und nichtkommerziellen Kräften das Überleben fast unmöglich gemacht wird.
Gerade in der Unterdrückung solcher Kräfte zeigt sich, dass und wie der Neoliberalismus
nicht nur als ökonomisches, sondern auch als politisches und kulturelles System operiert. Hier
fällt der Unterschied zum Faschismus am deutlichsten ins Auge. Der Faschismus ist
rassistisch und nationalistisch, verachtet die formelle Demokratie ebenso wie die hoch
organisierten sozialen Bewegungen. Der Neoliberalismus dagegen funktioniert am besten in
einer formellen parlamentarischen Demokratie, in der die Bevölkerung zugleich systematisch
davon abgehalten wird, sich an Entscheidungsprozessen sinnvoll beteiligen zu können. In
seinem Buch Kapitalismus und Freiheit behauptet Milton Friedman,
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der Guru der Neoliberalen, dass das Gewinnstreben zum Wesen der Demokratie gehöre,
weshalb jede Regierung, die nicht vorbehaltlos auf Marktstrategien setze, antidemokratisch sei,
auch wenn sie die Unterstützung einer gut in formierten Öffentlichkeit geniesse. Infolgedessen
werde die Funktion der Regierung am besten auf den Schutz des Privateigentums und die
Geltendmachung vertraglicher Rechte, und die politische Diskussion auf Nebenthemen
beschränkt, während die Produktion und Distribution von Ressourcen und die
gesellschaftlichen Institutionen durch Marktmechanismen reguliert werden.
Dank dieser pervertierten Auffassung von Demokratie waren Neoliberale wie Friedman nicht
von Skrupeln geplagt, als 1973 in Chile die demokratisch gewählte Regierung Allende durch
einen Militärputsch gestürzt wurde, weil sie den Wirtschaftsmächten im Weg stand. Nach
fünfzehn Jahren brutaler Diktatur - im Namen des demokratischen, freien Marktes wurde 1989
mit der Rückkehr zur formellen Demokratie eine Verfassung verabschiedet, die es den Bürgern
noch schwerer, wenn nicht unmöglich macht, sich der Vorherrschaft von Wirtschaft und
Militär in der chilenischen Gesellschaft zu widersetzen. Das ist neoliberale Demokratie in
nuce: Ein paar Parteien, die, ungeachtet formeller Unterschiede und Wahlkampfgeschrei, die
gleiche prokapitalistische Wirtschaftspolitik betreiben, führen triviale Diskussionen über
Nebensachen. Demokratie ist zulässig, solange die Wirtschaft von demokratischen
Entscheidungsprozessen verschont bleibt, d.h., solange die Demokratie keine ist.
Daher hat das neoliberale System ein wichtiges und notwendiges Nebenprodukt - ein
entpolltisiertes, von Apathie und Zynismus befallenes Staatsbürgertum. Wenn die
parlamentarische Demokratie so wenig in das gesellschaftliche
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Leben hineinwirkt, ist es offenbar sinnlos, ihr grosse Aufmerksamkeit zu widmen; in den USA,
dem Nährboden neoliberaler Demokratie, fiel die Beteiligung an den Kongresswahlen von
1998 auf ein Rekordtief: Nur ein Drittel der Wahlberechtigten fand sich an den Urnen ein.
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Obwohl eine Partei wie die der Demokraten, die auch aus den Unter- und Mittelschichten
Stimmen erhält, sich über das Wahlverhalten hin und wieder besorgt äussert, wird eine geringe
Wahlbeteiligung von den etablierten Mächten unterstützt und gutgeheissen, weil, was kaum
verwundert, der Anteil der Nichtwähler in den armen und arbeitenden Schichten besonders
hoch ist. Politische Initiativen, die das Interesse der Wähler steigern und die Wahlbeteiligung
erhöhen könnten, werden erstickt, bevor sie Oberhaupt das Licht der Öffentlichkeit erblicken.
So haben in den Vere' 'gten Staaten die beiden
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grossen, von der Wirtschaftslobby beherrschten Parteien der Demokraten und Republikaner
mit Unterstützung der Wirtschaftsverbände eine Reform von Gesetzen verweigert, die die
Gründung und wirksame Arbeit neuer Parteien (mit vielleicht antikapitalistischer Ausrichtung)
nahezu unmöglich machen. Obwohl wiederholt auf die spürbare Unzufriedenheit mit den
beiden Parteien hingewiesen wurde, ist die Wahlpolitik ein Bereich, in dem Wettbewerb und
freie Auswahl keine grosse Bedeutung haben. Gerade hier steht die vom Neoliberalismus
beeinflusste Politik dem kommunistischen Einpartelenstaat näher als einer echten Demokratie.
Doch das verdeutlicht noch nicht hinreichend, wie schädlich sich der Neoliberalismus auf eine
bürgerorientierte politische Kultur auswirkt. Zum einen untergräbt die von ihm hervorgerufene
soziale Ungleichheit jeden Versuch, für eine Rechtsgleichheit zu sorgen, die der Demokratie
Glaubwürdigkeit verleiht. Grosskonzerne besitzen die nötigen Mittel,
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um die Medien zu beeinflussen und die politische Willensbildung nach ihren Vorstellungen
zu gestalten, und sie machen davon Gebrauch. Bei Wahlen zum Beispiel stammen 80 Prozent
der individuellen Spendengelder von dem reichsten Viertel eines Prozents der Amerikaner, und
die Konzerne zahlen gegenüber den Gewerkschaften das Zehnfache. Neoliberalistisch
betrachtet ist das sinnvoll, denn indem Spenden wie Investitionen behandelt werden, spiegeln
auch die Wahlen Marktprinzipien wider. Zudem werden die Wahlen damit für die meisten
Bürger bedeutungslos, und die Vorherrschaft der Konzerne bleibt ungebrochen.
Andererseits benötigt die Demokratie ein die Bürger verbindendes Gemeinschaftsgefühl, das
seinen Ausdruck in einer Vielzahl nichtkommerzieller Organisationen und Institutionen findet.
Eine lebendige politische Kultur braucht Bibliotheken, öffentliche Schulen,
Nachbarschaftsinitiativen, Kooperativen, Versammlungsorte, Freiwilligenverbände und
Gewerkschaften, damit die Menschen sich treffen und ihre Probleme bereden können. Die
neoliberale Demokratie, die den Markt über alles stellt, lässt diesen Bereich links liegen. Sie
bringt keine Bürger, sondern Konsumenten hervor, keine Gemeinschaften, sondern
Einkaufszentren. So entsteht schliesslich eine atomisierte Gesellschaft gleichgültiger
Individuen, die sich demoralisiert und ohnmächtig fühlen.
Demzufolge ist der Neoliberalismus - nicht nur in den USA, sondern weltweit - der erste und
unmittelbare Feind wirklicher Demokratie, und daran wird sich auf absehbare Zeit auch nichts ändern.
Es passt zu Noam Chomsky, im Kampf für die Demokratie und gegen den Neoliberalismus die führende
Persönlichkeit zu sein. In den sechziger Jahren war er ein prominenter Kritiker des Vietnamkriegs und wurde
schon bald zum
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scharfsichtigen Analytiker einer US-Aussenpolltik, die die Demokratie untergräbt, die
Menschenrechte mit Füssen tritt und sich zum Fürsprecher der Interessen der reichen
Oberschicht macht. Seit den siebziger Jahren hat Chomsky in Zusammenarbeit mit Edward S.
Herman die Politik der USamerikanischen Nachrichtenmedien untersucht. In ihrem 1988
erschienenen Buch Manufacturt'ng Consent zeigen sie, auf welche Weise diese Medien den
Interessen der Wirtschaft dienen und die Fähigkeit der Menschen, ihr Zusammenleben
demokratisch zu regeln, untergraben. Manufacturting Consent ist nach wie vor
Ausgangspunkt für jede ernsthafte Untersuchung der Aktivitäten von Nachrichtenmedien.
Aber Chomsky, den man als Anarchisten oder vielleicht genauer als Libertären bezeichnen
könnte, hat auch die kommunistischen Staaten und Parteien mit seiner an den Prinzipien
wahrhafter Demokratie orientierten Kritik nicht verschont. Wie ungezählte andere habe ich
von ihm gelernt, dass die Demokratie der unverzichtbare Eckstein jeder postkapitalistischen
Gesellschaft ist, für die zu kämpfen und in der zu leben sich lohnt. Zugleich hat er gezeigt, wie
absurd es ist, Kapitalismus und Demokratie gleichzusetzen oder zu glauben, dass selbst die
beste kapitalistische Gesellschaft den streng geregelten und eingeschränkten Zugriff auf
Informationskanäle und Entscheidungsmöglichkeiten lockert. Mit Ausnahme von George
Orwell hat wohl kaum ein anderer Autor die heuchlerische Behauptung der Herrscher und Ideologen in
kapitalistischen und kommunistischen Gesellschaften, ihre Form der Demokratie sei die einzig wahre, So
systematisch entlarvt.
In den neunziger Jahren hat Chomsky die unterschiedlichen Themen seiner politischen Arbeit - vom
Antlimperialismus und der Medienanalyse bis hin zu Schriften über
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Demokratie und Arbeiterbewegung - gebündelt und zu Büchern verarbeitet, zu denen auch diese
Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus gehört. Zugleich möchte er, im Rückblick auf das antike
Griechenland und die Vordenker demokratischer Revolutionen des 17. und 18. Jahrhunderts, die
gesellschaftlichen Voraussetzungen der Demokratie erhellen. Er weist nach, dass man nicht für eine
partizipatorische Demokratie eintreten und zugleich den Kapitalismus oder eine andere
Klassengesellschaft verteidigen kann. Anhand der historischen Kämpfe für die Demokratie verdeutlicht
er auch, dass der Neoliberalismus kein neues Phänomen ist, sondern lediglich eine Neuauflage des
Kampfes der Reichen gegen die Ausweitung der politischen und bürgerlichen Rechte der Massen.
Ein weiteres Thema ist die von ihm kritisierte Mythologie des freien Marktes, die uns einzuhämmern
sucht, dass die Wirtschaft konkurrenzorientiert, rational, effizient und fair sei. Chomsky weist darauf
hin, dass Märkte nur höchst selten vom Wettbewerb, sondern gemeinhin von Grosskonzernen beherrscht
und kontrolliert werden, so dass die Wirklichkeit ganz anders aussieht, als die Lehrbücher der Ökonomie
und die Sonntagsreden der Politiker sie schildern. Zudem sind Konzerne ihrer Struktur nach totalitäre
Organisationen, deren Operationsweisen mit Demokratie nichts zu tun haben. Da diese Organisationen
in der Wirtschaft die entscheidende Rolle spielen, ist unsere Fähigkeit, eine demokratische Gesellschaft
zu entwickeln, ziemlich eingeschränkt.
Die Mythologie des freien Marktes besagt auch, dass Regierungen ineffiziente Institutionen seien,
deren Wirken die magischen Kreise des laissez-faire nicht stören sollte. In Wirklichkeit jedoch, so
betont Chomsky, sind Regierungen für das moderne kapitalistische System von zentraler Bedeutung.
Sie
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verteilen grosszügige Subventionen an die Konzerne und kämpfen an zahlreichen Fronten für deren
Interessen. Oft genug ist die von den Konzernen verbreitete neoliberale Ideologie pure Heuchelei, in der
Erwartung, dass die Regierungen ihnen Steuergelder zuschanzen und ihre Märkte vor dem Wettbewerb
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