Kleine Jugendreihe - Rolf Guddat - Der Weg durchsMoor.pdf

(328 KB) Pobierz
Kleine Jugendreihe - Rolf Guddat - Der Weg durchs Moor.doc
678870018.001.png
KLEINE JUGENDREIHE
Rolf Guddat
Der Weg durchs Moor
VERLAG KULTUR UND FORTSCHRITT BERLIN
1958
9. Jahrgang, 2. Dezemberheft
Veröffentlicht 1958 im Verlag Kultur und Fortschritt Berlin W 8, Tauben-
straße 10
Lizenz-Nr. 3 – 285/49/58
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag und Illustrationen: Rudolf Lipus
Satz und Druck: VEB Landesdruckerei Sachsen, Dresden III-9-5 185
„Es ist ein Jammer, daß ich den alten Hegebusch nicht mehr
kennengelernt habe.“ Willi Hölzer, der junge Förster, wies mit
seinem Pfeifenstiel auf ein kleines Ölgemälde an der Wand. Es
stellte das Porträt eines rauschbärtigen Weidmanns dar. Die
Augen des Alten schienen spöttisch auf die beiden Männer
herabzublinzeln, die auf dem Sofa im Wohnzimmer der Förste-
rei saßen.
„Wann war das eigentlich, als der Hegebusch starb und du
die Försterei übernahmst?“ fragte Leutnant Heinz Jablonski.
„Es sind jetzt gut drei Jahre her. Hätte man mich nur früher
hier eingeführt. Aber der alte Hegebusch soll ein eigensinniger
Mensch gewesen sein. Er sträubte sich, die Försterei ab-
zugeben, obwohl er schon hoch in den Siebzig war.“
„Und du meinst, daß er den Weg gekannt hat?“
„Der hat ihn gekannt“, sagte Willi Hölzer überzeugt.
Dann schwiegen sie beide. Leutnant Jablonski seufzte und
öffnete den obersten Knopf seiner Uniform mit den grünen
Kragenspiegeln der Grenzpolizei.
Der mächtige Kachelofen strömte behagliche Wärme aus. In
die Stille hinein begann die Kuckucksuhr zu schnarren, und der
possierliche braune Vogel rief elfmal.
„Zeit, daß ich zum Kommando gehe“, sagte Jablonski.
„Ach, was ich dich noch fragen wollte: Könnt ihr mir helfen,
den Sechzehnender zur Strecke zu bringen?“
„Du meinst diesen wilden Hirsch, von dem du neulich schon
mal sprachst?“
Der Förster mußte lächeln. „Wilder Hirsch ist gut. – Ja, den
meine ich. Er hat mir vorgestern meinen besten Platzhirsch zu
Tode geforkelt. Der Bursche ist einfach nicht zu fassen. Wenn
ich auf ihn pirsche, wechselt er über die Grenze nach drüben.
Einmal habe ich ihn unten im Tannengrund vor die Büchse
bekommen. Zwanzig Schritt entfernt und gutes Schußlicht.
Aber du weißt ja, der Tannengrund liegt im Fünfhundertmeter-
streifen.“
„… und da darfst du nicht schießen“, vollendete Leutnant Ja-
blonski den Satz des Försters.
„Aber du kannst mir glauben, daß es mich in den Fingern ge-
juckt hat.“
„Und du meinst, daß wir dir helfen können?“
„Ja. Ich habe festgestellt, daß er ziemlich regelmäßig durch
den Tannengrund wechselt. Man müßte ihm den Weg zur
Grenze versperren. Er wird dann wahrscheinlich südlich zum
Moor ziehen. Wenn wir Glück haben, kommt er mir dabei auf
der Schneise im Jagen 17 vor die Büchse.“
„Du weißt, daß ich höchstens sechs Genossen dafür zur Ver-
fügung habe. Der Streifen- und Postendienst darf darunter nicht
leiden.“
„Das würde schon reichen. Von den Waldarbeitern machen
auch ein paar mit.“
„Also gut. Wann schlägst du vor?“
„Wenn das Wetter günstig ist, übermorgen.“
Leutnant Jablonski verabschiedete sich. Auf dem Weg zum
Grenzpolizeikommando ging ihm die Geschichte mit dem
Moor nicht aus dem Kopf. Da gab es Leute, die ungeschoren
die Grenze nach Hessen passierten, weil sie den Weg durchs
Moor kannten. Deshalb mußte man diesen Weg herausbekom-
men. Aber wie? Nur wenigen Einheimischen sollte der Pfad
durch den schwarzen Morast bekannt sein. Zu ihnen hatte auch
der alte Förster Hegebusch gehört. Aber Hegebusch war tot,
und wer von den Einwohnern Fichtensteins des Weges kundig
war, das wußte niemand zu sagen. Fest stand nur, daß der ge-
heime Weg durchs Moor, das bis dicht an die Grenze reichte,
benutzt wurde. Der entlang der Grenze laufende Zehnmeter-
kontrollstreifen wies häufig Fußspuren auf, die aus dem Moor
kamen. Was nützte aller Streifen- und Postendienst der zwölf
in Fichtenstein stationierten Grenzpolizisten, wenn das Moor
wie unerforschtes Niemandsland in ihrem Kontrollabschnitt
lag?
Seit sechs Monaten war Leutnant Heinz Jablonski nun schon
Kommandoleiter in Fichtenstein. Damals hatte man ihn hierher
versetzt, weil er weit über den Bereich der Grenzpolizeibereit-
schaft hinaus für seinen Spürsinn und seine daraus resultieren-
den Erfolge bekannt war. „Genosse Leutnant“, hatte der Major
zu ihm gesagt, „wir übertragen Ihnen das Kommando Fichten-
stein, da wir der Überzeugung sind, daß Sie binnen kurzer Zeit
diesen Abschnitt unserer Staatsgrenze für Diversanten und
Schmuggler unpassierbar machen werden.“ Das klang sehr
ehrenvoll, und Heinz Jablonski hätte brennend gern dem Major
gemeldet, daß sein Abschnitt für illegale Grenzgänger tatsäch-
lich unpassierbar geworden war. Aber da gab es diese Fußspu-
ren, ein-, zweimal in der Woche. Es war zum Verzweifeln! Die
Genossen taten ihr Bestes. Zusätzlicher Streifendienst, zusätz-
liche Posten; gut getarnt lagen sie manchmal stundenlang auf
der Lauer. Doch alles vergebens. Gefreiter Bornemann, ein
alter Fuchs, der in seiner achtjährigen Dienstzeit mehr als
zweihundert Festnahmen zu verzeichnen hatte, zog Dutzende
von Malen mit seinem Diensthund Harras los. Zweimal war er
einem Grenzgänger dicht auf den Fersen – dann aber kam das
Moor, unwegsam für jeden, der nicht den Pfad kannte. Einmal
war Bornemann bis zu den Knien im Morast versunken und
hatte Mühe gehabt, wieder festen Boden unter die Füße zu be-
kommen. Harras schlich ihm winselnd und mit eingekniffenem
Schwanz um die Beine. Hier nützte auch die beste Hundenase
nichts. Wasser nahm keine Witterung an. Leutnant Jablonski
dachte an die unzähligen Male, da sie von allen Seiten versucht
hatten, Schritt für Schritt den Weg durchs Moor zu erkunden.
Da waren scheinbar trockene Stellen, trügerisch mit Moos be-
wachsen. Aber wenn man den Fuß daraufsetzte, gab der Boden
laut schmatzend nach.
Zgłoś jeśli naruszono regulamin