vom schuldenmachen und abbezahlen.pdf

(226 KB) Pobierz
INHALT
BANKLEERE
Herr der Dinge
Geld auszugeben macht Spaß – selbst dann noch, wenn
man eigentlich keines mehr hat. Gemachte Schulden
zurückzuzahlen ist schon nicht mehr so lustig. Aber es ist
zu schaffen, sogar, wenn es um 20 000 Euro geht.
Text: Julia Landvogt Foto: Gerald von Foris
Andreas Hilgart erzählt seine Geschichte, ohne zu lächeln.Vielleicht,
weil er jeden Tag 14 Stunden arbeitet und einfach zu erschöpft ist.Viel-
leicht, weil er viele tausend Euro Schulden hat und es ihm daher schwer
fällt, einen Grund zum Lächeln zu finden.Andreas Hilgart hat in sechs
Jahren insgesamt 20 000 Euro ausgegeben, die er nicht besaß und die
er daher jemandem schuldet:Versicherungen,Versandhäusern, der Te-
lekom, verschiedenen Banken.
Der 25-jährige Münchner sitzt auf der Eckcouch in der Wohnung, in
der er zusammen mit seiner Freundin Stephanie und deren zweijähri-
gem Sohn Stephan wohnt. Er sieht meist zu Boden, während er redet,
er erzählt seine Geschichte nicht gern.Aber er spricht trotzdem – um
andere zu warnen. Sein Rat klingt einfach: „Seid nicht so dumm wie
ich. Gemacht sind Schulden schnell, der Weg wieder raus aus dem
Schlamassel ist aber so schwer, dass man es kaum beschreiben kann.“
Andreas Hilgart wirkt ruhig, die Panik, die Ausweglosigkeit, die er ein-
mal empfand, sind nicht mehr zu spüren. Aber er erinnert sich daran.
An die Angst, den Briefkasten zu öffnen – es könnten neue Rechnun-
gen gekommen sein. Er hat auch die Scham nicht vergessen, die er we-
gen seiner Schulden empfand und darüber, dass er sein eigenes Leben
nicht mehr im Griff hatte. „Ich kann Menschen verstehen“, sagt er da-
her, „die sich wegen ihrer Schulden umgebracht haben.“ Er selbst hat
einen Weg gefunden, weil er irgendwann seine Scham überwand und
seine Probleme jemandem anvertraute, der ihm helfen konnte. In sei-
nem Fall war das die Schuldnerberatung der Arbeiterwohlfahrt.
Begonnen haben seine Probleme mit dem Geld, als er 18 Jahre alt war:
Er kaufte sich einen gebrauchten BMW
für 5 500 Euro, finanziert von der BMW
Bank. 1 000 Euro blieben ihm damals
von seinem Lohn zum Leben, 105 Eu-
ro davon musste er monatlich an die Bank zurückzahlen. Das ging. Ein
Jahr später träumte er von einem Motorrad. Die Maschine kostete 2 500
Euro, er nahm seinen Dispokredit in Anspruch. Das heißt, er konnte
mit Erlaubnis der Bank sein Konto überziehen – zu sehr hohen Zin-
sen, doch das wusste er damals nicht.Auch diesen Kredit begann er so-
fort in Raten zurückzuzahlen, 50 Euro monatlich.
„Ich hatte eine günstige Wohnung, ich konnte mir das leisten. Es wä-
re gut gegangen.“ Wäre. Dann verliebte er sich und zog mit seiner
Freundin zusammen. Das Paar genoss das Leben. Sie gingen viel aus,
verreisten. „Meine Freundin war in der Ausbildung und verdiente nicht
viel.Als ihr Dispokredit von 750 Euro ausgeschöpft war, habe ich eben
bezahlt.“ Die Freundin machte den Führerschein, sie kauften Möbel
und fünf Aquarien – sie sind Andreas Hilgarts Hobby. Er sprach mit sei-
nemVater über seine Ausgaben, damals traute er sich noch. Er hatte rund
„Ich war jung und ich war dumm.
Ich dachte, mir passiert nichts.“
10 000 Euro Schulden. SeinVater riet ihm, alle Kredite über eine Bank
laufen zu lassen. „Um den Überblick zu behalten.“
175 Euro zahlte das Paar monatlich ab. Auch die neue Bank erlaubte
ihnen, das Konto um 500 Euro zu überziehen. Sie machten sich keine
Sorgen: Sie hatten sich dem Problem ja gestellt, sie verdienten beide
Geld, die Höhe der Raten war überschaubar. Doch auch der Überzie-
hungskredit war schnell verbraucht: weil sie heirateten, einen Kühl-
schrank und eine Waschmaschine kauften. Seine Frau beendete die
Lehre, verdiente mehr Geld, die Bank erhöhte den Kreditrahmen, sie
konnten jetzt 2 500 Euro Schulden machen. Die Bank fragte nicht, ob
sie das wollten. „Und wir haben es genommen“, sagt er.Wenig später
verlor seine Frau ihren Job und die Falle schnappte zu. Andreas ver-
diente nun allein und versuchte zu sparen.Auch wenn er nicht genau
wusste, wie. „In der Disko einen Cocktail weniger trinken? Das hätte
den Braten auch nicht fett gemacht.“ Daran, zum Beispiel sein Mo-
torrad zu verkaufen, dachte er nicht. Er bat auch seine Frau, auf das Geld
zu achten. Die aber wollte weiterhin mit ihren Freundinnen shoppen
gehen und lieber bei Tengelmann als bei Aldi einkaufen.
Warum er weiter Geld ausgab, das er nicht hatte? Eine richtige Er-
klärung dafür hat Andreas Hilgart nicht. „Ich war jung und ich war
dumm. Ich dachte, ich habe einen Job, mir wird nichts passieren. Und
es war schwer, weil meine Frau das Problem nicht sehen wollte.“
Nochmals wechselten sie die Bank. Die neue Bank, die das Paar trotz
der damals bereits 12 500 Euro Schulden sofort nahm, räumte einen
weiteren Kredit ein, 2 500 Euro. Knapp 300 Euro mussten sie monat-
lich abbezahlen – aber ihren Lebensstil
änderten sie nicht. Als die Bank ihnen
nichts mehr geben wollte, entdeckten
sie eine Zeitungsanzeige „Sofortkredit
günstig“. Bei solchen Angeboten sind die Zinsen oft sehr hoch. And-
reas hatte Glück, er geriet an ein Kreditinstitut, dessen Bedingungen
moderat waren, und lieh sich 2 250 Euro. Sechs Monate später trenn-
te er sich von seiner Frau. Kurz darauf wurde ihm gekündigt, weil sei-
ne Abteilung aufgelöst wurde. Die Wohnung konnte er sich nicht mehr
leisten, er zog zu seiner Mutter. Seine Frau weigerte sich, ihren Anteil
an den Kreditraten zu bezahlen, er hielt noch eine Weile durch, woll-
te dann aber nicht allein verantwortlich sein und stellte die Zahlungen
ebenfalls ein. Er war am Ende. Sprachlos, hilflos. Er war 24 Jahre alt, hat-
te 20 000 Euro Schulden – und keinen Job.
Stephanie rettete ihn.Andreas lernte sie über Freunde kennen – die kei-
ne Ahnung hatten, wie groß seine Probleme waren. Stephanie und er
wurden ein Paar. „Ich habe mich monatelang nicht getraut, ihr von
den Schulden zu erzählen. Ich war mir sicher, so einen wie mich, den
26
13962306.001.png 13962306.002.png
Die Bank fragte Andreas Hilgart nicht, ob er den Kreditrahmen erhöhen wolle – sie tat es einfach. Und ihn störte es nicht.
will sie nicht.“ Mittlerweile hatte er über das Arbeits-
amt einen Job gefunden, lebte in Scheidung: Sein
Selbstbewusstsein wuchs, er traute sich zu reden. Und
Stephanie griff ein. Sie überredete ihn, Hilfe anzu-
nehmen, vereinbarte einen Termin bei der Schuldner-
beratung. Die handelte einen Deal aus: Sechs Jahre
lang zahlt Andreas 200 Euro monatlich zurück, was
nach dieser Zeit nicht getilgt ist, erlassen ihm die
Gläubiger. Andreas’ Exfrau hat private Insolvenz an-
gemeldet, das bedeutet: Bei ihr ist nichts zu holen.
Andreas und Stefanie wissen, dass diese sechs Jahre
hart werden. Andreas trägt von vier bis halb sechs Uhr
morgens Zeitungen aus, als Nebenjob. Um acht be-
ginnt seine eigentliche Arbeit als Automechaniker,
um halb sechs Uhr abends ist er wieder zu Hause. So
bleiben ihm 1 150 Euro im Monat – nach Abzug der
monatlichen Rate von 200 Euro. Davon muss er Mie-
te,Versicherung und Strom bezahlen. Die Einkäufe,
ein neues Paar Schuhe, Kleidung für den Sohn, zahlt
Stephanie vom Erziehungsgeld und ihrem Nebenjob
bei Media Markt.Was passiert, wenn die sechs Jahre
vorbei sind? „Ich werde sparen, Geld für unsere Zu-
kunft zurücklegen. Und nie wieder ein Konto mit
einem Dispokredit haben“, sagt Andreas. Und lächelt,
zum ersten Mal.
Bundesweite Adressen von Schuldnerberatungsstellen:
www.forum-schuldnerberatung.de
27
13962306.003.png 13962306.004.png
Zgłoś jeśli naruszono regulamin