der spiegel sierpień 2008 - der gefaehrliche Nachbar.pdf

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Der gefährliche Nachbar
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DAS DEUTSCHE NACHRICHTEN-MAGAZIN
Hausmitteilung
18. August 2008
Betr.: Titel, Mafia, Olympia
D ie Situation, in die SPIEGEL-Reporter Walter Mayr, 48, am vorigen Donnerstag
in Gori geriet, war fürchterlich. Russische Soldaten hatten die strategisch be-
deutende georgische Stadt nahe der Grenze zum umkämpften Südossetien einge-
nommen und versuchten nun, jeglichen Widerstand auszuschalten. Mayr wurde
Augenzeuge, als sie das Auto eines Georgiers stoppten. Sie fanden darin eine Ma-
schinenpistole, zwangen den Mann
zu Boden und richteten ihre Waf-
fen auf ihn. „Ich hatte große
Angst, dass die Soldaten ihn sofort
erschießen würden“, sagt Mayr.
Der Georgier flehte um sein Le-
ben, wurde festgenommen, aber
am Leben gelassen. Über den
Krieg im Kaukasus, der die Welt
verändern könnte, berichten Re-
dakteure des SPIEGEL und von
SPIEGEL ONLINE. In den geor-
gischen Krisengebieten recher-
chierten auch Benjamin Bidder,
26, und Matthias Gebauer, 34;
Uwe Klußmann, 47, interviewte in der Hauptstadt Tiflis den georgischen Präsidenten
Micheil Saakaschwili, 40. Über die geopolitischen Folgen des Kriegs sprachen Aus-
landsressortleiter Gerhard Spörl, 58, und Autor Erich Follath, 59, mit dem früheren
Bundeskanzler Gerhard Schröder, 64 (Seiten 80, 86, 90).
Russische Soldaten, verdächtiger Georgier, Mayr
gen wie im August vorigen Jahres: Sechs Menschen kamen in Duisburg zu Tode,
und Täter wie Opfer gehörten der ’Ndrangheta an, der kalabrischen Mafia, die als
besonders archaisch und abgeschottet gilt. Die SPIEGEL-Redakteure Alexander
Smoltczyk, 49, und Andreas Ulrich, 45, bekamen
dennoch Kontakt zu deren innerem Zirkel und wa-
ren dabei, als ein Novize aufgenommen wurde. Aus-
führlich erläuterte ihnen ein Pate seine Sicht der
Bluttat von Duisburg, „vielleicht aus Eitelkeit, viel-
leicht war es eine obszöne Art von Stolz“, sagt
Smoltczyk. Möglich wurde der Kontakt durch den
Fotografen Francesco Sbano, 45, der in Kalabrien
aufwuchs und das Vertrauen mancher Mafiosi ge-
nießt. Sein Dokumentarfilm „Männer der Ehre“
über die ’Ndrangheta soll demnächst in Deutschland
gezeigt werden (Seite 48).
Ulrich, Mafia-Novize, Smoltczyk
die SPIEGEL-Redakteure Ullrich Ficht-
ner, 43, Maik Großekathöfer, 36, und Det-
lef Hacke, 44, in Peking. Großekathöfer sah
Reiterwettbewerbe in Hongkong, Hacke be-
schreibt das sportliche Duell der Supermäch-
te USA und China – während Fichtner unter
anderem einen chinesischen Oppositionellen
begleitete, den Sicherheitskräfte plötzlich fest-
nahmen (Seiten 108, 112, 116).
Fichtner, Hacke, Großekathöfer
Im Internet: www.spiegel.de
der spiegel
34/2008
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N ie zuvor hat die italienische Mafia so erbarmungslos in Deutschland zugeschla-
E ine Olympiade der Widersprüche erleben
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In diesem Heft
Titel
Russlands Feldzug im Kaukasus ....................... 80
Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili
über die russische Militärintervention
und die Hilfe der USA....................................... 86
Altbundeskanzler Gerhard Schröder über
die Strategie des Kreml und
das Ende der amerikanischen Vorherrschaft .... 90
Wie die neuen Herren in Städten
und Dörfern Georgiens Beute machen ............. 96
Verbraucher im Konsumstreik Seite 60
Die deutsche Wirtschaft ist
erstmals seit vier Jahren wie-
der geschrumpft, die Verbrau-
cher sind tief verunsichert: Die
Rekordinflation verdirbt den
Bürgern die Konsumlaune, sie
frisst alle Lohnzuwächse auf.
Der Einzelhandel rutscht in die
Krise, besonders hart sind die
Warenhäuser betroffen: Kar-
stadt ist erneut zu einem Sa-
nierungsfall geworden. In Ber-
lin hat die Konsumflaute die
Politiker alarmiert, im Finanz-
ministerium tüftelt eine eigens
eingesetzte Arbeitsgruppe an
einem Antikrisenplan.
Deutschland
Panorama: Rechtspolitiker streiten über
Schmerzensgeld für Justizopfer / Müntefering
als Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung im
Gespräch / Artenschutz gefährdet
Offshore-Windparks ......................................... 14
Außenpolitik: Nach den Kämpfen im Kaukasus
muss die Bundesregierung den tiefen Riss
in der EU kitten und eine Strategie im Umgang
mit Russland und den USA finden .................... 18
SPD: Andrea Ypsilantis Flirt mit der
Linken gefährdet Frank-Walter Steinmeiers
Kanzlerkandidatur ............................................ 21
Affären: Datenklau-Skandal weitet sich aus .... 22
Regierung: SPIEGEL-Gespräch mit dem
österreichischen Bundeskanzler Gusenbauer
über die Tücken einer Großen Koalition .......... 26
Linke: Ulbrichts Comeback – wie SED-Altkader
in der Linkspartei die DDR schönreden ............ 29
Arzneimittel: Pharma-Ramsch aus China
gefährdet Konsumenten in Deutschland ........... 30
Biografien: Autor Hans-Joachim Noack über
den Altbundeskanzler Helmut Schmidt ............ 32
Bildung: Sportwissenschaftler kritisieren
mangelhaften Schulsport .................................. 36
Vermögen: Erben eines jüdischen Bankiers
fordern Gemälde von US-Museen .................... 40
Zeitgeschichte: Bislang unbekannte
Dokumente zeigen, wie der Westen sich im
August 1968 von der Invasion der
Sowjetunion in Prag überraschen ließ .............. 42
Abgeordnete: Eine Kalifornien-Reise
deutscher Gesundheitspolitiker gerät zur Farce 44
Konsumentin
Linke Geschichtsklitterung Seite 29
Die Linke wird ihre SED-Vergangenheit nicht los: Ein Bündnis aus Altkadern, DKP-
Funktionären und Stasi-Obristen verklärt die DDR und verhöhnt deren Opfer. Der
Ältestenrat der Linken drängt gar auf ein Bekenntnis zum untergegangenen Staat.
Tödlicher Clan
Seite 48
Für die Duisburger Mafia-
Morde, bei denen im August
vergangenen Jahres sechs
Menschen starben, war die
kalabrische ’Ndrangheta zu-
ständig. Sie arbeitet subtiler
als die Camorra oder die Cosa
Nostra und gilt als die mäch-
tigste Organisation im Ko-
kaingeschäft. Ein Pate enthüllt
nun, mit welchen Methoden
dieser Clan sein globales Netz-
werk spinnt – auch von
Deutschland aus.
Gesellschaft
Szene: Bildband über vergleichbare
Marketing-Strategien von Diktatoren und
Großkonzernen / Interview mit Autor Markus
Albers über den Trend zum mobilen Büro ....... 46
Eine Meldung und ihre Geschichte –
wie Journalisten aus einer 93-Jährigen eine
Heldin und Bestsellerautorin machten ............. 47
Kriminalität: Ein Jahr nach den Mafia-Morden
von Duisburg – das globale Wirken der
kalabrischen ’Ndrangheta ................................ 48
Ortstermin: In Berlin wirbt die Kirche mit
modernen Mitteln um neue Kunden ................ 57
Trauernde Frauen in Kalabrien
Wirtschaft
Trends: Siemens vernachlässigte Kontrollen /
Mehdorn attackiert Aufsichtsbehörde / Merkel
plant Charme-Offensive ................................... 58
Konsum: Die schlechte Kauflaune
stürzt den Handel in die Krise ......................... 60
Telekommunikation: Mobilfunker E-Plus
mischt den Markt auf ....................................... 63
Banken: US-Behörden ermitteln gegen
die Deutsche Bank ........................................... 64
Arbeitsmarkt: Wie rumänische Wanderarbeiter
in Deutschland ausgebeutet werden ................. 66
Gesundheit: Warum die
Krankenkassenbeiträge weiter steigen .............. 70
Obama, Caroline und Ted Kennedy
John F. Obama Seite 102
Wo er nur kann, schmückt sich Barack
Obama mit den Kennedys. Caroline,
Tochter von JFK, sucht mit nach einem
Vizepräsidenten. Auf dem Parteitag nächs-
te Woche wird der todkranke Patriarch
Ted Kennedy über Video Obama als Er-
ben anpreisen, denn der charismatische
Kandidat verschafft auch dem Kennedy-
Clan Glanz nach glücklosen Jahren.
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der spiegel
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Medien
Trends: DFL will Kartellamt herausfordern /
„Liebes Land“ tritt gegen „LandLust“ an ........ 72
Fernsehen: Vorschau ...................................... 73
Olympia: Körperkult und Heldenverehrung in
der ästhetischen Inszenierung des Sports ......... 74
Ausland
Panorama: Pakistans Präsident Musharraf
auf dem Rückzug / Bau einer geheimen
CIA-Zentrale in Mazedonien? .......................... 78
China: Pekings Angst vor den Uiguren .......... 100
USA: Der Kennedy-Clan meldet sich zurück ... 102
Global Village: Tarik Bin Laden
will eine Superbrücke zwischen dem Jemen
und Dschibuti bauen ....................................... 106
V. RODIONOV / AP (L.); D. KOSTYUKOV / AFP (R.)
Merkel, Medwedew, russische Truppen in Südossetien
Sport
Szene: Dynamo-Tiflis-Trainer Rainer Zobel
über seine Flucht aus Georgien / Deutscher
Fußball-Bund setzt auf Trendsport Futsal ....... 107
Olympische Spiele: IOC-Präsident Rogge
und sein rätselhaftes Verschwinden ................ 108
Der Zweikampf USA gegen China um
die meisten Goldmedaillen ............................. 112
Deutschlands erfolgreiche Reiter in Hongkong 116
Putins Triumph über den Westen Seiten 18, 80 bis 96
Kaltblütig und effizient hat Russlands Premier Putin die Krise um Georgien angepackt,
selbst manch amerikanischer Politiker bewundert ihn dafür. Aber der brutale Ant-
wortschlag gegen Staatschef Saakaschwili in Tiflis spaltet die westliche Welt, der Riss
geht quer durch die EU. Auch Kanzlerin Merkel bemüht sich zu vermitteln.
Rogges Schweigen S. 74, 108 bis 116
Bereits in der ersten Woche der Spiele geriet IOC-
Präsident Jacques Rogge in Erklärungsnot: die ge-
fälschten Fernsehbilder von der Eröffnung, die leeren
Tribünen und schließlich die Verhaftung von Opposi-
tionellen wie dem Anwalt Ji Sizun, der seit Montag
vergangener Woche verschwunden ist. Außerdem im
Heft: der Filmwissenschaftler Georg Seeßlen über die
mediale Inszenierung Olympias sowie ein Besuch bei
den erfolgreichen deutschen Reitern in Hongkong.
Wissenschaft · Technik
Prisma: Essbare Biosensoren sollen
Gammelfleisch entlarven / Kochkunst machte
den Urmenschen schlau .................................. 120
Hirnforschung: Wie Magier die
menschliche Wahrnehmung austricksen ......... 122
Sucht: Mit einer umstrittenen
Therapie behandelt ein Moskauer Arzt
Junkies aus dem Westen ................................. 124
Pseudowissenschaft: Der Öko-Fundi –
die Tiraden von Prinz Charles ........................ 126
Medizinethik: Was treibt Menschen zur
Nieren-Lebendspende? ................................... 127
Automation: Roboter erobern die Warenlager 128
Rogge
Kultur
Szene: Zwei Vorlesungen aus dem Nachlass
von Max Frisch über die Kunst des Schreibens /
Der umstrittene Stauffenberg-Film
„Walküre“ mit Tom Cruise startet in den
USA früher als geplant ................................... 130
Kino: Die wachsende Macht der Filmfans
in Hollywood .................................................. 132
Der Schauspieler Heath Ledger in einem
seiner letzten Interviews vor seinem Tod über
seine Kultrolle als Joker in „The Dark Knight“ 134
Autoren: Wolfgang Koeppens Briefwechsel
mit seiner Frau Marion – das tragische
Dokument einer Ehehölle ............................... 136
Bestseller ..................................................... 137
Essay: Die Schriftstellerin Juli Zeh über das
gestörte Verhältnis der Intellektuellen
zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr .... 138
Musik: SPIEGEL-Gespräch mit dem Dirigenten
Daniel Barenboim über Moral und Musik sowie
sein Engagement für den Frieden in Nahost ... 140
Nahaufnahme: Monty Pythons
Bibel-Filmsatire „Das Leben des Brian“ als
Oratorium auf der Bühne ............................... 143
Das Geheimnis der Magier
Seite 122
Zauberkünstler wie Hans Klok las-
sen Gegenstände verschwinden oder
bringen Menschen zum Schweben.
Nun versuchen Hirnforscher zu ent-
rätseln, wie es den Magiern gelingt,
die Zuschauer zu täuschen – und was
die Tricks über die menschliche
Wahrnehmung verraten.
Klok
Alle Macht den Fans Seite 132
Kinozuschauer nehmen immer mehr Einfluss auf Holly-
woods Produktionen – sie bestimmen über Drehbücher
und rufen Kultdarsteller wie Heath Ledger aus.
Briefe ................................................................ 8
Impressum, Leserservice ........................... 144
Register ........................................................ 146
Personalien ................................................... 148
Hohlspiegel /Rückspiegel ........................... 150
Titelbild: Fotos A. Druzhinin/AP, Shipenkov/DPA
Verkleidete Fans
der spiegel
34/2008
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Briefe
„Gegenfrage: Macht eine
Bibliothek doof, nur weil es
da viele Bücher gibt?“
der die Legitimität der Existenz von Buch-
handel und Bibliotheken sowie die freien
Rechte der Forscher und Autoren in Frage
stellt.
Nienburg/Weser (Nieders.) Peter Bredthauer
Es bedarf eines Prometheus, um das Feu-
er der neuen Medien zu zähmen: Die gras-
sierende pädagogische Inkompetenz und
Indifferenz auf parentaler sowie bildungs-
institutioneller Ebene sind ursächlich für
die gesellschaftlichen Kollateralschäden,
die sich aus dem unintelligenten, exzes-
siven Umgang mit den neuen Medien ab-
leiten!
Singapur
Karsten Schramm aus Herxheim bei Landau in Rheinland-Pfalz
zum Titel „Macht das Internet Doof?“
SPIEGEL-Titel 33/2008
David Bartolmaes
Alles gleichzeitig, am liebsten sofort
Nr. 33/2008, Titel: Macht das Internet doof?
Die geschilderten Symptome decken sich
mit meinen eigenen Erfahrungen. Sie ha-
ben allerdings einen wichtigen Aspekt ver-
gessen: Was für meine Großmutter die
nachmittägliche Luis-Trenker-Erzählstun-
de im Fernsehen war (die sie teilweise be-
reits als „interaktiv“ begriff), wird für die
zukünftigen Rentner das Internet sein.
Digitale User sitzen vor zwei Bildschirmen,
schieben apathisch Masken von einem
zum anderen, beherrschen blind Tastatur-
befehle, haben zig Programme parallel
laufen, iTunes oben, Google-Eingabefeld
unten, studiVZ und SPIEGEL ONLINE.
Getreu dem Motto: alles gleichzeitig, am
liebsten sofort und bitte keine Störungen.
Erkennt sich jemand wieder?
Emden (Nieders.)
Endlich wird deutlich, dass das Internet
bedenkliche Folgen nach sich zieht – Tech-
nik kann nie direkte menschliche Kom-
munikation ersetzen, was die Gesellschaft
sich nun eingestehen muss. Siehe Dishar-
monien im zwischenmenschlichen Bereich,
sei es in Beziehungen, in Familien und im
Freundeskreis. Der Computer fördert die
Isolation! Weg von der Virtualität – zurück
zur Lebensvitalität!
Lauda-Königshofen (Bad.-Württ.)
Johannes Holler
Jan-Philipp Küppers
Die Antwort auf die Frage, ob das Internet
doof macht, hängt davon ab, wie weit sich
der Mensch von diesem Medium manipu-
lieren lässt. Ein starkes Individuum kann
sich durch seine geistige Leistungsfähig-
keit, der Versuchung stumpfsinnig zu wer-
den, widersetzen.
Hannover
Doof macht es nicht, eher verrückt. Meine
Enkelinnen, 8 und 10 Jahre alt, nutzen es,
wissen auch genau, wofür, und sind er-
staunlich gut gelaunt dabei. Ich dagegen, 78,
drehe schon durch bei ganz „normalen“ Me-
dien-Spektakeln, zum Beispiel einem Pri-
vat-TV-Film: Handlung erstklassig, aber 59
Minuten Werbung. Bei Handy und Bildte-
lefon habe ich schon gestreikt. Die mediale
Dauerpräsenz, selbst der Familie, wird lästig.
Emden (Nieders.)
Christopher Wolters
Handelsraum der Commerzbank in Frankfurt
Doof macht es nicht, eher verrückt
Die Deutschen verweilen im Schnitt 58 Mi-
nuten pro Tag im Internet? Ich habe
mich ins Netz begeben und – Google sei
Dank – eine Quelle gefunden. Solange
die Deutschen noch im Schnitt 4,7 Stun-
den am Tag vor der Glotze hocken, lasse
ich mir den Spaß am Internet nicht ver-
miesen.
Barcelona
Reinhard Claudi
Man kann sorglos ganze Nachmittage da-
mit verbringen, sich der Illusion hinzuge-
ben, noch dabei zu sein.
Weßling (Bayern)
Dr. Joachim Kehr
Pascal Michels
Die perverseste Form der Digitalitis habe
ich in den Museen von Paris erlebt: Man
schaute nicht auf die Kunstwerke, sondern
kurz auf ihr Abbild im Display der Kame-
ra, dann Schuss und weiter, nächste Auf-
nahme. Rekordverdächtig dabei eine junge
Japanerin, die für einen ganzen Saal im
Musée d’Orsay keine vier Minuten brauch-
te – dann hatte ihre Kamera alle Bilder
„gesehen“! Rätselhaft nur, warum die Leu-
te nicht zu Hause bleiben und in den un-
gleich besser fotografierten Kunstbänden
blättern.
Buxtehude (Nieders.)
Vielen Dank für Ihr äußerst gelungenes
Titelbild, welches nicht nur grafisch nett
anzusehen ist, sondern nebenbei auch ei-
nen dezidiert ironischen Seitenhieb auf
den grassierenden Google-Wahn darstellt.
Viele Kritiker aus Wirtschaft, Kultur,
Wissenschaft und Forschung stören sich
schon lange an dem aggressiven Expan-
sionsanspruch der Internet-Suchmaschine,
Zunächst einmal bietet das Internet keine
Informationsflut, sondern eine Datenflut.
Information entsteht erst durch eine Tren-
nung der relevanten Daten von den irre-
levanten, und diese Leistung liegt beim
Rezipienten. Das Internet „macht“ also
zunächst mal gar nichts. Aber es könn-
te schon sein, dass es zunehmende intel-
lektuelle Leistungen bei den Rezipienten
Joachim Griebe
Diskutieren Sie auf SPIEGEL ONLINE
• Titel Droht ein neuer Kalter Krieg zwischen Russland
und dem Westen? www.spiegel.de/forum/Georgien
• Große Koalition Sind Große Koalitionen grundsätzlich
zum Scheitern verurteilt?
www.spiegel.de/forum/GroßeKoalition
• Medizinethik Sollen anonyme Lebendspenden von
Nieren erlaubt werden? www.spiegel.de/forum/Niere
Die Gedanken sind zu unser aller Glück
frei, und ich entscheide, was ich lese und
im Internet anklicke. Jeder entscheidet für
sich allein, ob er sich bilden oder verblö-
den will. Ich als Rentner bin froh, dass es
das Internet gibt. So kann ich vergleichen
und mich weiterbilden.
Sophienhof (Thür.)
Wolfgang Jörgens
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der spiegel
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Zgłoś jeśli naruszono regulamin