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Friedrich Schiller
Die Räuber
Personen:
Maximilian regierender Graf von Moor
Karl und Franz, seine Söhne
Amalia von Edelreich
Spiegelberg, Schweizer, Grimm, Razmann, Schufterle, Roller, Kosinsky und Schwarz Libertiner,
nachher Banditen .
Hermann Bastard von einem Edelmann .
Daniel Hausknecht des Grafen von Moor
Pastor Moser
Ein Pater
Räuberbande
Nebenpersonen
Der Ort der Geschichte ist Deutschland. Die Zeit ohngefähr 2 Jahre .
Vorrede.
Man nehme dieses Schauspiel für nichts Anderes, als eine dramatische Geschichte, die die Vortheile
der dramatischen Methode, die Seele gleichsam bei ihren geheimsten Operationen zu ertappen,
benutzt, ohne sich übrigens in die Schranken eines Theaterstücks einzuzäunen, oder nach dem so
zweifelhaften Gewinn bei theatralischer Verkörperung zu geizen. Man wird mir einräumen, daß es
eine widersinnige Zumuthung ist, binnen drei Stunden drei außerordentliche Menschen zu
erschöpfen, deren Thätigkeit von vielleicht tausend Räderchen abhängt, so wie es in der Natur der
Dinge unmöglich kann gegründet sein, daß sich drei außerordentliche Menschen auch dem
durchdringendsten Geisterkenner innerhalb vierundzwanzig Stunden entblößen. Hier war Fülle in
einander gedrungener Realitäten vorhanden, die ich unmöglich in die allzu engen Pallisaden des
Aristoteles und Batteux einkeilen konnte.
Nun ist es aber nicht sowohl die Masse meines Schauspiels, als vielmehr sein Inhalt, der es von der
Bühne verbannet. Die Oekonomie desselben machte es nothwendig, daß mancher Charakter
auftreten mußte, der das feinere Gefühl der Tugend beleidigt und die Zärtlichkeit unserer Sitten
empört. Jeder Menschenmaler ist in diese Nothwendigkeit eingesetzt, wenn er anders eine Copie
der wirklichen Welt, und keine idealischen Affectationen, keine Compendien-Menschen will
geliefert haben. Es ist einmal so die Mode in der Welt, daß die Guten durch die Bösen schattiert
werden und die Tugend im Contrast mit dem Laster das lebendigste Colorit erhält. Wer sich den
Zweck vorgezeichnet hat, das Laster zu stürzen und Religion, Moral und bürgerliche Gesetze an
ihren Feinden zu rächen, ein solcher muß das Laster in seiner nackten Abscheulichkeit enthüllen
und in seiner kolossalischen Größe vor das Auge der Menschheit stellen, - er selbst muß
augenblicklich seine nächtlichen Labyrinthe durchwandern, - er muß sich in Empfindungen
hineinzuzwingen wissen, unter deren Widernatürlichkeit sich seine Seele sträubt.
Das Laster wird hier mit sammt seinem ganzen innern Räderwerk entfaltet. Es löst in Franzen alle
die verworrenen Schauer des Gewissens in ohnmächtige Abstractionen auf, skeletisiert die richtende
Empfindung und scherzt die ernsthafte Stimme der Religion hinweg. Wer es einmal so weit
gebracht hat (ein Ruhm, den wir ihm nicht beneiden), seinen Verstand auf Unkosten seines Herzens
zu verfeinern, dem ist das Heiligste nicht heilig mehr - dem ist die Menschen, die Gottheit nichts -
beide Welten sind nichts in seinen Augen. Ich habe versucht, von einem Mißmenschen dieser Art
ein treffendes, lebendiges Conterfei hinzuwerfen, die vollständige Mechanik seines Lastersystems
auseinander zu gliedern - und ihre Kraft an der Wahrheit zu prüfen. Man unterrichte sich demnach
im Verfolg dieser Geschichte, wie weit ihr's gelungen hat. - Ich denke, ich habe die Natur getroffen.
Nächst an diesem steht ein Anderer, der vielleicht nicht wenige meiner Leser in Verlegenheit setzen
möchte. Ein Geist, den das äußerste Laster nur reizet um der Größe willen, die ihm anhänget; um
der Kraft willen, die es erheischet; um der Gefahren willen, die es begleiten. Ein merkwürdiger,
wichtiger Mensch, ausgestattet mit aller Kraft, nach der Richtung, die diese bekömmt, nothwendig
entweder ein Brutus oder ein Catilina zu werden. Unglückliche Conjuncturen entscheiden für das
Zweite, und erst am Ende einer ungeheuren Verirrung gelangt er zu dem Ersten. Falsche Begriffen
von Thätigkeit und Einfluß, Fülle von Kraft, die alle Gesetze übersprudelt, mußten sich natürlicher
Weise an bürgerlichen Verhältnissen zerschlagen, und zu diesen enthusiastischen Träumen von
Größe und Wirksamkeit durfte sich nur eine Bitterkeit gegen die unidealische Welt gesellen, so
ward der seltsame Don Quixote fertig, den wir im Räuber Moor verabscheuen und lieben,
bewundern und bedauern. Ich werde es hoffentlich nicht erst anmerken dürfen, daß ich dieses
Gemälde so wenig nur allein Räubern vorbehalte, als die Satire des Spaniers nur allein Ritter
geißelt.
Auch jetzt ist der große Geschmack , seinen Witz auf Kosten der Religion spielen zu lassen, daß
man beinahe für kein Genie mehr passiert, wenn man nicht seinen gottlosen Satyr auf ihren
heiligsten Wahrheiten sich herumtummeln läßt. Die edle Einfalt der Schrift muß sich in alltäglichen
Assembleen von den sogenannten witzigen Köpfen mißhandeln und ins Lächerliche verzerren
lassen; denn was ist so heilig und ernsthaft, daß, wenn man es falsch verdreht, nicht belacht werden
kann? - Ich kann hoffen, daß ich der Religion und der wahren Moral keine gemeine Rache
verschafft habe, wenn ich diese muthwilligen Schriftverächter in der Person meiner schändlichsten
Räuber dem Abscheu der Welt überliefere.
Aber noch mehr. Diese unmoralischen Charaktere, von denen vorhin gesprochen wurde, mußten
von gewissen Seiten glänzen, ja oft von Seiten des Geistes gewinnen, was sie von Seiten des
Herzens verlieren. Hierin habe ich nur die Natur gleichsam wörtlich abgeschrieben. Jedem, auch
dem Lasterhaftesten, ist gewissermaßen der Stempel des göttlichen Ebenbildes aufgedrückt, und
vielleicht hat der große Bösewicht keinen so weiten Weg zum großen Rechtschaffenen, als der
kleine; denn die Moralität hält gleichen Gang mit den Kräften, und je weiter die Fähigkeit, desto
weiter und ungeheuerer ihre Verirrung, desto imputabler ihre Verfälschung.
Klopstocks Adramelech weckt in uns eine Empfindung, worin Bewunderung in Abscheu schmilzt.
Miltons Satan folgen wir mit schauderndem Erstaunen durch das unwegsame Chaos. Die Medea der
alten Dramatiker bleibt bei allen ihren Gräueln noch ein so großes, staunenswürdiges Weib, und
Shakespeares Richard hat so gewiß am Leser einen Bewunderer, als er auch ihn hassen würde,
wenn er ihm vor der Sonne stünde. Wenn es mir darum zu thun ist, ganze Menschen hinzustellen, so
muß ich auch ihre Vollkommenheiten mitnehmen, die auch dem Bösesten nie ganz fehlen. Wenn ich
vor dem Tiger gewarnt haben will, so darf ich seine schöne blendende Fleckenhaut nicht übergehen,
damit man nicht den Tiger beim Tiger vermisse. Auch ist ein Mensch, der ganz Bosheit ist,
schlechterdings kein Gegenstand der Kunst und äußert eine zurückstoßende Kraft, statt daß er die
Aufmerksamkeit der Leser fesseln sollte. Man würde umblättern, wenn er redet. Eine edle Seele
erträgt so wenig anhaltende moralische Dissonanzen, als das Ohr das Gekritzel eines Messers auf
Glas.
Aber eben darum will ich selbst mißrathen haben, dieses mein Schauspiel auf der Bühne zu wagen.
Es gehört beiderseits, beim Dichter und seinem Leser, schon ein gewisser Gehalt von Geisteskraft
dazu: bei jenem, daß er das Laster nicht ziere , bei diesem, daß er sich nicht von einer schönen Seite
bestechen lasse, auch den häßlichen Grund zu schätzen. Meinerseits entscheide ein Dritter - aber
von meinen Lesern bin ich es nicht ganz versichert. Der Pöbel, worunter ich keineswegs die
Gassenkehrer allein will verstanden wissen, der Pöbel wurzelt (unter uns gesagt) weit um und gibt
zum Unglück - den Ton an. Zu kurzsichtig, mein Ganzes auszureichen, zu kleingeistisch, mein
Großes zu begreifen, zu boshaft, mein Gutes wissen zu wollen, wird er, fürcht' ich, fast meine
Absicht vereiteln, wird vielleicht eine Apologie des Lasters, das ich stürze, darin zu finden meinen
und seine eigene Einfalt den armen Dichter entgelten lassen, dem man gemeiniglich Alles, nur nicht
Gerechtigkeit widerfahren läßt.
Es ist das ewige Da capo mit Abdera und Demokrit, und unsere guten Hippokrate müßten ganze
Plantagen Nieswurz erschöpfen, wenn sie dem Unwesen durch ein heilsames Decoct abhelfen
wollten. Noch so viele Freunde der Wahrheit mögen zusammenstehen, ihren Mitbürgern auf Kanzel
und Schaubühne Schule zu halten, der Pöbel hört nie auf, Pöbel zu sein, und wenn Sonne und Mond
sich wandeln, und Himmel und Erde veralten wie ein Kleid. Vielleicht hätt' ich, den
Schwachherzigen zu frommen, der Natur minder getreu sein sollen; aber wenn jener Käfer, den wir
alle kennen, auch den Mist aus den Perlen stört, wenn man Exempel hat, daß Feuer verbrannt und
Wasser ersäuft habe, soll darum Perle - Feuer - und Wasser confisciert werden?
Ich darf meiner Schrift, zufolge ihrer merkwürdigen Katastrophe, mit Recht einen Platz unter den
moralischen Büchern versprechen; das Laster nimmt den Ausgang, der seiner würdig ist. Der
Verirrte tritt wieder in das Geleise der Gesetze. Die Tugend geht siegend davon. Wer nur so billig
gegen mich handelt, mich ganz zu lesen, mich verstehen zu wollen, von dem kann ich erwarten, daß
er - nicht den Dichter bewundere, aber den rechtschaffenen Mann in mir hochschätze.
Geschrieben in der Ostermesse 1781.
Der Herausgeber
Erster Akt.
Erste Scene.
Franken .
Saal im Moorischen Schloß. Franz. Der alte Moor.
Franz. Aber ist Euch auch wohl, Vater? Ihr seht so blaß.
D. a. Moor. Ganz wohl, mein Sohn, - was hattest du mir zu sagen?
Franz. Die Post ist angekommen - ein Brief von unserm Correspondenten in Leipzig -
D. a. Moor(begierig). Nachrichten von meinem Sohne Karl?
Franz. Hm! Hm! - So ist es. Aber ich fürchte - ich weiß nicht - ob ich - Eurer Gesundheit? - Ist Euch
wirklich ganz wohl, mein Vater?
D. a. Moor. Wie dem Fisch im Wasser! Von meinem Sohne schreibt er? - Wie kommst du zu dieser
Besorgniß? Du hast mich zweimal gefragt.
Franz. Wenn Ihr krank seid - nur die leiseste Ahnung habt, es zu werden, so laßt mich - ich will zu
gelegenerer Zeit zu Euch reden. (Halb zu sich.) Diese Zeitung ist nicht für einen zerbrechlichen
Körper.
D. a. Moor. Gott! Gott! was werd' ich hören?
Franz. Laßt mich vorerst auf die Seite gehn und eine Thräne des Mitleids vergießen um meinen
verlornen Bruder - ich sollte schweigen auf ewig - denn er ist Euer Sohn; ich sollte seine Schande
verhüllen auf ewig - denn er ist mein Bruder. - Aber Euch gehorchen, ist meine erste, traurige
Pflicht - darum vergebt mir.
D. a. Moor. O Karl! Karl! wüßtest du, wie deine Aufführung das Vaterherz foltert! wie eine einzige
frohe Nachricht von dir meinem Leben zehn Jahre zusetzen würde - mich zum Jüngling machen
würde - da mich nun jede, ach! - einen Schritt näher ans Grab rückt!
Franz. Ist es Das, alter Mann, so lebt wohl - wir alle würden noch heute die Haare ausraufen über
Eurem Sarge.
D. a. Moor. Bleib! - Es ist noch um den kleinen kurzen Schritt zu thun - laß ihm seinen Willen!
(Indem er sich niedersetzt.) Die Sünden seiner Väter werden heimgesucht im dritten und vierten
Glied - laß ihn's vollenden.
Franz(nimmt den Brief aus der Tasche). Ihr kennt unsern Correspondenten! Seht! den Finger meiner
rechten Hand wollt' ich drum geben, dürft' ich sagen, er ist ein Lügner, ein schwarzer, giftiger
Lügner - - Faßt Euch! Ihr vergebt mir, wenn ich Euch den Brief nicht selbst lesen lasse - Noch dürft
Ihr nicht Alles hören.
D. a. Moor. Alles, Alles - mein Sohn, du ersparst mir die Krücke.
Franz(liest). »Leipzig, vom 1sten Mai. - Verbände mich nicht eine unverbrüchliche Zusage, dir auch
nicht das Geringste zu verhehlen, was ich von den Schicksalen deines Bruders auffangen kann,
liebster Freund, nimmermehr würde meine unschuldige Feder an dir zur Tyrannin geworden sein.
Ich kann aus hundert Briefen von dir abnehmen, wie Nachrichten dieser Art dein brüderliches Herz
durchbohren müssen; mir ist's, als säh' ich dich schon um den Nichtswürdigen, den Abscheulichen«
- - (Der alte Moor verbirgt sein Gesicht.) Seht, Vater! ich lese Euch nur das Glimpflichste - »den
Abscheulichen in tausend Thränen ergossen;« - Ach, sie flossen - stürzten stromweis von dieser
mitleidigen Wange - »mir ist's, als säh' ich schon deinen alten, frommen Vater todtenbleich« - Jesus
Maria! Ihr seid's, eh' ihr noch das Mindeste wisset?
D. a. Moor. Weiter! Weiter!
Franz. - »todtenbleich in seinen Stuhl zurücktaumeln und dem Tage fluchen, an dem ihm zum
erstenmal Vater entgegengestammelt ward. Man hat mir nicht Alles entdecken mögen, und von dem
Wenigen, das ich weiß, erfährst du nur Weniges. Dein Bruder scheint nun das Maß seiner Schande
erfüllt zu haben; ich wenigstens kenne nichts über dem, was er wirklich erreicht hat, wenn nicht
sein Genie das meinige hierin übersteigt. Gestern um Mitternacht hatte er den großen Entschluß,
nach vierzigtausend Ducaten Schulden« - ein hübsches Taschengeld, Vater - »nachdem er zuvor die
Tochter eines reichen Bankiers allhier entjungfert und ihren Galan, einen braven Jungen von Stand,
im Duell auf den Tod verwundet, mit sieben Andern, die er mit in sein Luderleben gezogen, dem
Arm der Justiz zu entlaufen.« - Vater! Um Gotteswillen! Vater, wie wird Euch?
D. a. Moor. Es ist genug. Laß ab, mein Sohn!
Franz. Ich schone Eurer - »Man hat ihm Steckbriefe nachgeschickt, die Beleidigten schreien laut um
Genugthuung, ein Preis ist auf seinen Kopf gesetzt - der Name Moor« - Nein! meine armen Lippen
sollen nimmermehr einen Vater ermorden! (Zerreißt den Brief.) Glaubt es nicht, Vater! glaubt ihm
keine Silbe!
D. a. Moor(weint bitterlich). Mein Name! Mein ehrlicher Name!
Franz(fällt ihm um den Hals.) Schändlicher, dreimal schändlicher Karl! Ahnete mir's nicht, da er,
noch ein Knabe, den Mädels so nachschlenderte, mit Gassenjungen und elendem Gesindel auf
Wiesen und Wegen sich herumhetzte, den Anblick der Kirche, wie ein Missethäter das Gefängniß,
floh und die Pfennige, die er Euch abquälte, dem ersten dem besten Bettler in den Hut warf,
während daß wir daheim mit frommen Gebeten und heiligen Predigtbüchern uns erbauten? - Ahnete
mir's nicht, da er die Abenteuer des Julius Cäsar und Alexander Magnus und anderer stockfinsterer
Heiden lieber las, als die Geschichte des bußfertigen Tobias? - Hundertmal hab' ich's Euch
geweissagt, denn meine Liebe zu ihm war immer in den Schranken der kindlichen Pflicht - der
Junge wird uns alle noch in Elend und Schande stürzen! - O, daß er Moors Namen nicht trüge! daß
mein Herz nicht so warm für ihn schlüge! Die gottlose Liebe, die ich nicht vertilgen kann, wird
mich noch einmal vor Gottes Richterstuhl anklagen.
D. a. Moor. Oh - meine Aussichten! Meine goldenen Träume!
Franz. Das weiß ich wohl. Das ist es ja, was ich eben sagte. Der feurige Geist, der in dem Buben
lodert, sagtet Ihr immer, der ihn für jeden Reiz von Größe und Schönheit so empfindlich macht, -
diese Offenheit, die seine Seele auf dem Auge spiegelt, - diese Weichheit des Gefühls, die ihn bei
jedem Leiden in weinende Sympathie dahinschmelzt, - dieser männliche Muth, der ihn auf den
Wipfel hundertjähriger Eichen treibet und über Gräben und Palissaden und reißende Flüsse jagt, -
dieser kindliche Ehrgeiz, dieser unüberwindliche Starrsinn und alle diese schönen glänzenden
Tugenden, die im Vatersöhnchen keimten, werden ihn dereinst zu einem warmen Freund eines
Freundes, zu einem trefflichen Bürger, zu einem Helden, zu einem großen, großen Manne machen. -
Seht Ihr's nun, Vater! - der feurige Geist hat sich entwickelt, ausgebreitet, herrliche Früchte hat er
getragen. Seht diese Offenheit, wie hübsch sie sich zur Frechheit herumgedreht hat! sehet diese
Weichheit, wie zärtlich sie für Koketten girret, wie so empfindsam für die Reize einer Phryne! Seht
dieses feurige Genie, wie es das Öl seines Lebens in sechs Jährchen so rein weggebrannt hat, daß er
bei lebendigem Leibe umgeht, und da kommen die Leute und sind so unverschämt und sagen:
c'est l'amour qui a fait ça! Ah! seht doch diesen kühnen, unternehmenden Kopf, wie
er Plane schmiedet und ausführt, vor denen die Heldenthaten eines Cartouches und Howards
verschwinden! - Und wenn erst diese prächtigen Keime zur vollen Reife erwachsen - was läßt sich
auch von einem so zarten Alter Vollkommenes erwarten? - Vielleicht, Vater, erlebt Ihr noch die
Freude, ihn an der Fronte eines Heeres zu erblicken, das in der heiligen Stille der Wälder residieret
und dem müden Wanderer seine Reise um die Hälfte der Bürde erleichtert - vielleicht könnt Ihr
noch, eh Ihr zu Grabe geht, eine Wallfahrt nach seinem Monumente thun, das er sich zwischen
Himmel und Erden errichtet - vielleicht, o Vater, Vater, Vater - seht Euch nach einem andern Namen
um, sonst deuten Krämer und Gassenjungen mit Fingern auf Euch, die Euren Herrn Sohn auf dem
Leipziger Marktplatz im Portrait gesehen haben.
D. a. Moor. Und auch du, mein Franz, auch du? O meine Kinder! wie sie nach meinem Herzen
zielen!
Franz. Ihr seht, ich kann auch witzig sein, aber mein Witz ist Skorpionstich. - Und dann der trockne
Alltagsmensch, der kalte, hölzerne Franz, und wie die Titelchen alle heißen mögen, die Euch der
Contrast zwischen ihm und mir mocht' eingegeben haben, wenn er Euch auf dem Schooße saß, oder
in die Backen zwickte - der wird einmal zwischen seinen Grenzsteinen sterben und modern und
vergessen werden, wenn der Ruhm dieses Universalkopfs von einem Pole zum andern fliegt - Ha!
mit gefaltnen Händen dankt dir, o Himmel! der kalte, trockne, hölzerne Franz - daß er nicht ist, wie
dieser!
D. a. Moor. Vergib mir, mein Kind; zürne nicht auf einen Vater, der sich in seinen Planen betrogen
findet. Der Gott, der mir durch Karln Thränen zusendet, wird sie durch dich, mein Franz, aus
meinen Augen wischen.
Franz. Ja, Vater, aus Euren Augen soll er sie wischen. Euer Franz wird sein Leben dran setzen, das
Eurige zu verlängern. Euer Leben ist das Orakel, das ich vor Allem zu Rathe ziehe über Dem, was
ich thun will; der Spiegel, durch den ich Alles betrachte - keine Pflicht ist mir so heilig, die ich nicht
zu brechen bereit bin, wenn's um Euer kostbares Leben zu thun ist. - Ihr glaubt mir das?
D. a. Moor. Du hast noch große Pflichten auf dir, mein Sohn - Gott segne dich für Das, was du mir
warst und sein wirst!
Franz. Nun sagt mir einmal - wenn Ihr diesen Sohn nicht den Euren nennen müßtet, Ihr wär't ein
glücklicher Mann?
D. a. Moor. Stille! o stille! da ihn die Wehmutter mir brachte, hub ich ihn gen Himmel und rief: Bin
ich nicht ein glücklicher Mann?
Franz. Das sagtet ihr. Nun, habt Ihr's gefunden? Ihr beneidet den schlechtesten Eurer Bauern, daß er
nicht Vater ist zu diesem - Ihr habt Kummer, so lang Ihr diesen Sohn habt. Dieser Kummer wird
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