Routley, Jane - Dion von Moria - Die Herrin der Rosen.pdf

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1. Kapitel
Ich sah den Dämon zum ersten Mal in einer Vision, die mich befiel,
nachdem ich Hazia gekaut hatte. Aber es war mehr als eine Vision.
Ich ging in kalter Dunkelheit an einem Strand entlang. Selbst in mei-
nem Drogennebel wußte ich, daß ich mich an einem Ort befand, an
dem ich nichts zu suchen hatte, und ich spürte die ängstliche Anspan-
nung zwischen den Schulterblättern, die mit solchem Wissen einher-
geht.
Die Sicht war gut. Kalte, leuchtende Sterne drehten sich langsam
und hypnotisch am Himmel. Pulsierten sie nicht auch? Waren es Au-
gen? Das weiß ich heute nicht mehr.
Der Strand bestand nicht aus Sand, sondern aus Millionen winziger,
zerbrechlicher Knochen, die unter meinen Füßen knirschten und split-
terten. Das Meer hob und senkte sich in tiefem Schweigen, als sei es
erschöpft; es schien mit Sternenlicht besprenkelt zu sein. Dann sah ich,
daß es von Tausenden kleinen Gesichtern bedeckt war, Mündern ei-
gentlich, die sich im Rhythmus der Wellenbewegungen öffneten und
schlossen und jedesmal, wenn die Wellen ans Ufer schlugen, wie See-
vögel kreischten.
Ich glaube, ich stand eine ganze Weile da und blickte einfach aufs
Wasser hinaus. Plötzlich weckte eine andere Bewegung meine Auf-
merksamkeit; eine ziemlich schnelle Bewegung. Was ich zuerst für ei-
nen Felsen in der Nähe des Ufers gehalten hatte, richtete sich nun in
dem trüben Licht auf und ordnete seine Fledermausschwingen. Irgend
etwas saß da auf diesem Felsen.
Ich hatte eine Ahnung, worum es sich handelte. Eine verzweifelte
Ahnung. Ich wünschte mir sehnlichst, dieses Geschöpf aus der Nähe
betrachten zu können. Unruhig ging ich am Ufer auf und ab.
Von irgendwoher hörte ich ein Klopfen.
Der Fels war so nahe; mein Verlangen war eine Qual. Kühn trat ich
ins Meer und watete langsam durch das Wasser. Es war nicht kalt und
naß, wie ich es erwartet hatte, sondern warm und zähflüssig, wie Ge-
lee. Es war weich und gleichzeitig fest, und es trug mich. Die kleinen,
klaffenden Mäuler schienen eine Gasse für mich zu bilden. Als ich ein
Stück weit gegangen war, bemerkte ich kleine rosafarbene Zungen, die
aus den Mündern herausschnellten, wenn ich vorbeikam. Wo sie meine
Haut berührten, kitzelte es wunderbar. Und es herrschte ein widerli-
cher Gestank, faulig und süß›, wie ich ihn niemals zuvor wahrgenom-
men hatte. Er war so schwer, daß mir beinahe übel wurde. Wie von
Rosen – fauligen, verwesenden Rosen.
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Als ich bis zur Taille hineingewatet war, wußte ich, daß das Wesen
auf dem Felsen tatsächlich ein Dämon war, genauso, wie ich es in Ge-
beten erfleht hatte. Da hockte er, bewehrt mit Zähnen und Krallen, die
schuppigen Flügel wie zum Trocknen ausgebreitet, das Gesicht dem
Wirbel der Sterne entgegengereckt.
Ein Klopfen an der Tür warnte mich davor, noch näher heranzuge-
hen.
Ich hatte noch nie zuvor einen echten Dämon gesehen, aber mein
ganzes Leben lang war ich in wachem Zustand von den chaotischen,
geflügelten Bewohnern der Alpträume fasziniert gewesen. Nun hatte
ich eines dieser ehrfurchtgebietenden und gefährlichen Wesen vor mir.
In meiner Unvernunft verspürte ich nicht mehr als das winzigste, köst-
lichste Prickeln von Furcht. Statt dessen verschlang ich den Dämon mit
den Augen. Er mußte meinen Blick gespürt haben, denn langsam wie
eine Eidechse wandte er den Kopf und sah mich an.
Jemand schrie und hämmerte an die Tür.
Seine roten Reptilienaugen waren von schweren Lidern verhangen.
Er lächelte charmant, weltmännisch und hielt mir zum Gruß seine
stachlige Hand hin. Ich verspürte augenblicklich den Drang, meine win-
zige, so zerbrechliche Hand in die seine zu legen, um die rauhe,
schwielige Haut zu spüren.
Dann wurde dieses zwanghafte Gefühl plötzlich beängstigend. Ich
zog mich hastig zurück, verlor das Gleichgewicht und fiel rückwärts in
die feste, saugende See.
Und aus dem Bett. Ich war in einer weißen, klebrigen Gebärmutter
gefangen und kämpfte darum, geboren zu werden; die Arme wurden
mir an den Leib gedrückt, und mein Kopf ragte gerade eben heraus. Mit
einemmal hörte ich ein gewaltiges Krachen in meinem Kopf. Oder kam
es von der Tür? Plötzlich rissen die Laken auseinander, und ich stürzte
auf den kalten Boden und lag keuchend und zuckend da, überzogen
von Blut und Schleim wie ein neugeborener Wurm. Ich befand mich auf
einer mit riesigen Felsbrocken bedeckten Ebene, während die Welt um
mich herumwirbelte und sich mit dem schrecklichsten Dröhnen füllte.
Ich hielt mir die Arme vors Gesicht. Das Dröhnen war wie die Schläge
eines Hammers, der auf eine Walnuß niederkrachte; ich hatte eine ü-
belkeiterregende Vision meines eigenen Gehirns, das wie grauer Ein-
topf aus meinem Kopf quoll.
Der Raum drehte sich ein weiteres Mal. Die Vision zerfiel. Ich kämpf-
te mich frei, und plötzlich war ich wieder in meinem eigenen, vertrau-
ten, normalen Zimmer, und alles war unglaublich klein, still und farb-
los.
Jemand schlug mit aller Gewalt an die Tür.
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»Dion!« brüllte eine gereizte Stimme. »Ali! Bei den Sieben! Dion,
mach die Tür auf!«
Mein Mund schmeckte nach saurem Schleim. Mein Blick war getrübt
und schien sich jederzeit wieder in Visionen verlieren zu wollen. Ich
öffnete die Tür einen Spaltbreit und sah einen pickelgesichtigen Jüng-
ling aus dem zweiten Jahr vor mir stehen.
»Herr des Himmels und der Erde«, sagte er. »Wieso hast du so lange
gebraucht?« Mir war nicht danach, meine Würde zu verteidigen.
»Was ist los?« krächzte ich.
»Der Dekan möchte dich sehen.«
0 Gott und Engel! Nein!
»Ich kann nicht…«
»Er sagt, es sei dringend.«
Der Junge reckte seinen mageren Hals neugierig vor und trat dichter
an die Tür. Seine Pusteln leuchteten feurigrot auf seiner bläulichen
Morgenhaut. Er roch nach Körperöl und Hafergrütze. Er hatte einen
Verdacht. Das konnte ich sehen.
»Sag ihm, ich sei krank«, antwortete ich. »Ich komme, sobald ich
kann.«
Ich schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Erst in diesem Augenblick,
als ich wieder zurücktrat, wurde mir klar, daß ich mit warmem Schleim
bedeckt war. Warmer Schleim, der nach Eiter und Rosen roch. Es war
also nicht nur eine Vision gewesen. O Gott und Engel! Ein kalter
Schauer lief mir über den Rücken, und meine Nackenhaare stellten sich
auf. Das Zimmer drehte sich vor meinen Augen und mir wurde so
schwindlig, daß ich, ohne den Türgriff loszulassen, zu Boden sank.
Wie konnte ich in die Welt der Dämonen gelangt sein, eine so ferne
Dimension, die von der unseren aus so unerreichbar war, daß, nur die
stärkste Magie und die mächtigsten Magier sie berühren konnten? War
das, wo der Knochenstrand war? War ich wirklich körperlich dorthin
gereist? Es war, als hätte ich soeben einen zaghaften Blick in einen
bodenlosen, magnetischen Abgrund geworfen. Ich war in einer uner-
gründlichen Welt gewesen, in der die bösartigsten und zerstöre-
rischsten Wesen beheimatet waren, die man sich nur vorstellen konn-
te. Wäre dieser unangenehme Junge nicht gewesen, hätte ich den Dä-
mon vielleicht berührt.
Das rüttelte mich auf. Was zum Teufel ging da in meinem Kopf vor?
Wie konnte ich, nicht mehr als eine Schülerin der Magie, zufällig an
diesen unaussprechlich gefährlichen Ort gelangen – einen Ort, den nur
die Stärksten berühren konnten, und den niemand je betreten hatte?
Es mußte eine andere Erklärung für den rapide abkühlenden Schleim
auf meinen Gliedern geben, eine Erklärung, die zu erkennen mir noch
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die Erfahrung fehlte.
Und die Hand auszustrecken, um einen Dämon zu berühren! Die Tat-
sache, daß ich mit einem solchen Wesen in Kontakt gekommen war,
hätte mich mit Entsetzen erfüllen müssen, statt mit Faszination. Wie
konnte mich ein so abgrundtief böses Wesen derart faszinieren? Wie
konnte ich auch nur in Erwägung gezogen haben, es zu berühren? Das
war der Weg, der in die Nekromantie führte, die schwarze Kunst, die
obszöne Magie des Todes und der Zerstörung. Wollte ich das meinen
anderen Sünden noch hinzufügen?
»Die Dämonen beobachten uns ständig und warten nur darauf, un-
achtsame Magier in die Nekromantie zu locken.«
Das war die Warnung, die mein Ziehvater Michael mir mit auf den
Weg gegeben hatte, als ich vierzehn Jahre alt war. Sein Gesicht hatte
dabei diesen selbstherrlichen Ausdruck angenommen, der in mir immer
den Wunsch weckte, ihm ein Kissen über den Kopf zu schlagen und
etwas Schnippisches zu erwidern. Obwohl ich natürlich niemals gewagt
hatte, das zu tun.
An seinem Rat gab es natürlich nicht das mindeste auszusetzen.
»Kein Magier, der etwas auf sich hält, verschwendet auch nur einen
Gedanken an Dämonen«, erklärte er mir. »Sie lauern stets dort drau-
ßen; sie sind immer hungrig nach Leben. Und vor allem zieht es sie zu
jenen von uns hin, die die Welt der Magie berühren; stets sind sie be-
reit, den Unachtsamen zu einem magischen Pakt zu verleiten, der es
ihnen vielleicht gestattet, ihren Hunger nach Lebendigem aus unserer
Dimension zu stillen.
Dämonen verfügen über erstaunliche Macht: In ihrer eigenen Welt
kann ihnen niemand widerstehen, und selbst aus der nebelverhange-
nen Entfernung einer anderen Dimension sind sie tödlich. Unwidersteh-
lich. Im Laufe der Zeitalter haben schlechte Menschen immer wieder
den Pakt mit ihnen gesucht. Unter einem solchen Pakt kann ein schwa-
cher Magier Dämonenmacht durch schwere Barrieren bringen, kann sie
zwischen ihrer Dimension und unserer hin und her schieben und auf
diese Weise zu einem mächtigen Nekromanten werden. Aber als Ge-
genleistung wird immer ein furchtbarer Preis gefordert, denn diese dä-
monischen Verbündeten sind ständig hungrig und müssen gefüttert
werden.
Die Hand eines jeden vernünftigen Magiers, ja, eines jeden vernünf-
tigen menschlichen Wesens, muß sich immer gegen die Nekromantie
wenden, denn Nekromanten sind eine Geißel des Landes. Überall in
ihrer Umgebung verschwinden auf mysteriöse Weise lebendige Kreatu-
ren, bis große Teile des Landes bar jeden Tierlebens sind, weil der Dä-
mon mit allem Lebendigen seinen gewaltigen Appetit stillt. Sie gedei-
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