Heinrich von Kleist - Michael Kohlhaas.pdf

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Heinrich von Kleist
Michael Kohlhaas
Aus einer alten Chronik
(1810)
An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler, namens
Michael Kohlhaas , Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und
entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. - Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein dreißigstes
Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können. Er besaß in einem Dorfe, das
noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig
ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit
und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit, oder seiner
Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in
einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.
Er ritt einst, mit einer Koppel junger Pferde, wohlgenährt alle und glänzend, ins Ausland, und
überschlug eben, wie er den Gewinst, den er auf den Märkten damit zu machen hoffte, anlegen
wolle: teils, nach Art guter Wirte, auf neuen Gewinst, teils aber auch auf den Genuß der Gegenwart:
als er an die Elbe kam, und bei einer stattlichen Ritterburg, auf sächsischem Gebiete, einen
Schlagbaum traf, den er sonst auf diesem Wege nicht gefunden hatte. Er hielt, in einem Augenblick,
da eben der Regen heftig stürmte, mit den Pferden still, und rief den Schlagwärter, der auch bald
darauf, mit einem grämlichen Gesicht, aus dem Fenster sah. Der Roßhändler sagte, daß er ihm
öffnen solle. Was gibts hier Neues? fragte er, da der Zöllner, nach einer geraumen Zeit, aus dem
Hause trat. Landesherrliches Privilegium, antwortete dieser, indem er aufschloß: dem Junker
Wenzel von Tronka verliehen. - So, sagte Kohlhaas. Wenzel heißt der Junker? und sah sich das
Schloß an, das mit glänzenden Zinnen über das Feld blickte. Ist der alte Herr tot? - Am Schlagfluß
gestorben, erwiderte der Zöllner, indem er den Baum in die Höhe ließ. - Hm! Schade! versetzte
Kohlhaas. Ein würdiger alter Herr, der seine Freude am Verkehr der Menschen hatte, Handel und
Wandel, wo er nur vermochte, forthalf, und einen Steindamm einst bauen ließ, weil mir eine Stute,
draußen, wo der Weg ins Dorf geht, das Bein gebrochen. Nun! Was bin ich schuldig? - fragte er;
und holte die Groschen, die der Zollwärter verlangte, mühselig unter dem im Winde flatternden
Mantel hervor. »Ja, Alter«, setzte er noch hinzu, da dieser: hurtig! hurtig! murmelte, und über die
Witterung fluchte: »wenn der Baum im Walde stehen geblieben wäre, wärs besser gewesen, für
mich und Euch«; und damit gab er ihm das Geld und wollte reiten. Er war aber noch kaum unter
den Schlagbaum gekommen, als eine neue Stimme schon: halt dort, der Roßkamm! hinter ihm vom
Turm erscholl, und er den Burgvogt ein Fenster zuwerfen und zu ihm herabeilen sah. Nun, was
gibts Neues? fragte Kohlhaas bei sich selbst, und hielt mit den Pferden an. Der Burgvogt, indem er
sich noch eine Weste über seinen weitläufigen Leib zuknüpfte, kam, und fragte, schief gegen die
Witterung gestellt, nach dem Paßschein. - Kohlhaas fragte: der Paßschein? Er sagte ein wenig
betreten, daß er, soviel er wisse, keinen habe; daß man ihm aber nur beschreiben möchte, was dies
für ein Ding des Herrn sei: so werde er vielleicht zufälligerweise damit versehen sein. Der
Schloßvogt, indem er ihn von der Seite ansah, versetzte, daß ohne einen landesherrlichen
Erlaubnisschein, kein Roßkamm mit Pferden über die Grenze gelassen würde. Der Roßkamm
versicherte, daß er siebzehn Mal in seinem Leben, ohne einen solchen Schein, über die Grenze
gezogen sei; daß er alle landesherrlichen Verfügungen, die sein Gewerbe angingen, genau kennte;
daß dies wohl nur ein Irrtum sein würde, wegen dessen er sich zu bedenken bitte, und daß man ihn,
da seine Tagereise lang sei, nicht länger unnützer Weise hier aufhalten möge. Doch der Vogt
erwiderte, daß er das achtzehnte Mal nicht durchschlüpfen würde, daß die Verordnung deshalb erst
neuerlich erschienen wäre, und daß er entweder den Paßschein noch hier lösen, oder zurückkehren
müsse, wo er hergekommen sei. Der Roßhändler, den diese ungesetzlichen Erpressungen zu
erbittern anfingen, stieg, nach einer kurzen Besinnung, vom Pferde, gab es einem Knecht, und
sagte, daß er den Junker von Tronka selbst darüber sprechen würde. Er ging auch auf die Burg; der
Vogt folgte ihm, indem er von filzigen Geldraffern und nützlichen Aderlässen derselben murmelte;
und beide traten, mit ihren Blicken einander messend, in den Saal. Es traf sich, daß der Junker eben,
mit einigen muntern Freunden, beim Becher saß, und, um eines Schwanks willen, ein unendliches
Gelächter unter ihnen erscholl, als Kohlhaas, um seine Beschwerde anzubringen, sich ihm näherte.
Der Junker fragte, was er wolle; die Ritter, als sie den fremden Mann erblickten, wurden still; doch
kaum hatte dieser sein Gesuch, die Pferde betreffend, angefangen, als der ganze Troß schon:
Pferde? Wo sind sie? ausrief, und an die Fenster eilte, um sie zu betrachten. Sie flogen, da sie die
glänzende Koppel sahen, auf den Vorschlag des Junkers, in den Hof hinab; der Regen hatte
aufgehört; Schloßvogt und Verwalter und Knechte versammelten sich um sie, und alle musterten die
Tiere. Der eine lobte den Schweißfuchs mit der Blesse, dem andern gefiel der Kastanienbraune, der
dritte streichelte den Schecken mit schwarzgelben Flecken; und alle meinten, daß die Pferde wie
Hirsche wären, und im Lande keine bessern gezogen würden. Kohlhaas erwiderte munter, daß die
Pferde nicht besser wären, als die Ritter, die sie reiten sollten; und forderte sie auf, zu kaufen. Der
Junker, den der mächtige Schweißhengst sehr reizte, befragte ihn auch um den Preis; der Verwalter
lag ihm an, ein Paar Rappen zu kaufen, die er, wegen Pferdemangels, in der Wirtschaft gebrauchen
zu können glaubte; doch als der Roßkamm sich erklärt hatte, fanden die Ritter ihn zu teuer, und der
Junker sagte, daß er nach der Tafelrunde reiten und sich den König Arthur aufsuchen müsse, wenn
er die Pferde so anschlage. Kohlhaas, der den Schloßvogt und den Verwalter, indem sie sprechende
Blicke auf die Rappen warfen, mit einander flüstern sah, ließ es, aus einer dunkeln Vorahndung, an
nichts fehlen, die Pferde an sie los zu werden. Er sagte zum Junker: »Herr, die Rappen habe ich vor
sechs Monaten für 25 Goldgülden gekauft; gebt mir 30, so sollt Ihr sie haben.« Zwei Ritter, die
neben dem Junker standen, äußerten nicht undeutlich, daß die Pferde wohl so viel wert wären; doch
der Junker meinte, daß er für den Schweißfuchs wohl, aber nicht eben für die Rappen, Geld
ausgeben möchte, und machte Anstalten, aufzubrechen; worauf Kohlhaas sagte, er würde vielleicht
das nächste Mal, wenn er wieder mit seinen Gaulen durchzöge, einen Handel mit ihm machen; sich
dem Junker empfahl, und die Zügel seines Pferdes ergriff, um abzureisen. In diesem Augenblick trat
der Schloßvogt aus dem Haufen vor, und sagte, er höre, daß er ohne einen Paßschein nicht reisen
dürfe. Kohlhaas wandte sich und fragte den Junker, ob es denn mit diesem Umstand, der sein
ganzes Gewerbe zerstöre, in der Tat seine Richtigkeit habe? Der Junker antwortete, mit einem
verlegnen Gesicht, indem er abging: ja, Kohlhaas, den Paß mußt du lösen. Sprich mit dem
Schloßvogt, und zieh deiner Wege. Kohlhaas versicherte ihn, daß es gar nicht seine Absicht sei, die
Verordnungen, die wegen Ausführung der Pferde bestehen möchten, zu umgehen; versprach, bei
seinem Durchzug durch Dresden, den Paß in der Geheimschreiberei zu lösen, und bat, ihn nur
diesmal, da er von dieser Forderung durchaus nichts gewußt, ziehen zu lassen. Nun! sprach der
Junker, da eben das Wetter wieder zu stürmen anfing, und seine dürren Glieder durchsauste: laßt
den Schlucker laufen. Kommt! sagte er zu den Rittern, kehrte sich um, und wollte nach dem
Schlosse gehen. Der Schloßvogt sagte, zum Junker gewandt, daß er wenigstens ein Pfand, zur
Sicherheit, daß er den Schein lösen würde, zurücklassen müsse. Der Junker blieb wieder unter dem
Schloßtor stehen. Kohlhaas fragte, welchen Wert er denn, an Geld oder an Sachen, zum Pfande,
wegen der Rappen, zurücklassen solle? Der Verwalter meinte, in den Bart murmelnd, er könne ja
die Rappen selbst zurücklassen. Allerdings, sagte der Schloßvogt, das ist das Zweckmäßigste; ist
der Paß gelöst, so kann er sie zu jeder Zeit wieder abholen. Kohlhaas, über eine so unverschämte
Forderung betreten, sagte dem Junker, der sich die Wamsschöße frierend vor den Leib hielt, daß er
die Rappen ja verkaufen wolle; doch dieser, da in demselben Augenblick ein Windstoß eine ganze
Last von Regen und Hagel durchs Tor jagte, rief, um der Sache ein Ende zu machen: wenn er die
Pferde nicht loslassen will, so schmeißt ihn wieder über den Schlagbaum zurück; und ging ab. Der
Roßkamm, der wohl sah, daß er hier der Gewalttätigkeit weichen mußte, entschloß sich, die
Forderung, weil doch nichts anders übrig blieb, zu erfüllen; spannte die Rappen aus, und führte sie
in einen Stall, den ihm der Schloßvogt anwies. Er ließ einen Knecht bei ihnen zurück, versah ihn
mit Geld, ermahnte ihn, die Pferde, bis zu seiner Zurückkunft, wohl in acht zu nehmen, und setzte
seine Reise, mit dem Rest der Koppel, halb und halb ungewiß, ob nicht doch wohl, wegen
aufkeimender Pferdezucht, ein solches Gebot, im Sächsischen, erschienen sein könne nach Leipzig,
wo er auf die Messe wollte, fort.
In Dresden, wo er, in einer der Vorstädte der Stadt, ein Haus mit einigen Ställen besaß, weil er von
hier aus seinen Handel auf den kleineren Märkten des Landes zu bestreiten pflegte, begab er sich,
gleich nach seiner Ankunft, auf die Geheimschreiberei, wo er von den Räten, deren er einige
kannte, erfuhr, was ihm allerdings sein erster Glaube schon gesagt hatte, daß die Geschichte von
dem Paßschein ein Märchen sei. Kohlhaas, dem die mißvergnügten Räte, auf sein Ansuchen, einen
schriftlichen Schein über den Ungrund derselben gaben, lächelte über den Witz des dürren Junkers,
obschon er noch nicht recht einsah, was er damit bezwecken mochte; und die Koppel der Pferde, die
er bei sich führte, einige Wochen darauf, zu seiner Zufriedenheit, verkauft, kehrte er, ohne irgend
weiter ein bitteres Gefühl, als das der allgemeinen Not der Welt, zur Tronkenburg zurück. Der
Schloßvogt, dem er den Schein zeigte, ließ sich nicht weiter darüber aus, und sagte, auf die Frage
des Roßkamms, ob er die Pferde jetzt wieder bekommen könne: er möchte nur hinunter gehen und
sie holen. Kohlhaas hatte aber schon, da er über den Hof ging, den unangenehmen Auftritt, zu
erfahren, daß sein Knecht, ungebührlichen Betragens halber, wie es hieß, wenige Tage nach dessen
Zurücklassung in der Tronkenburg, zerprügelt und weggejagt worden sei. Er fragte den Jungen, der
ihm diese Nachricht gab, was denn derselbe getan? und wer während dessen die Pferde besorgt
hätte? worauf dieser aber erwiderte, er wisse es nicht, und darauf dem Roßkamm, dem das Herz
schon von Ahnungen schwoll, den Stall, in welchem sie standen, öffnete. Wie groß war aber sein
Erstaunen, als er, statt seiner zwei glatten und wohlgenährten Rappen, ein Paar dürre, abgehärmte
Mähren erblickte; Knochen, denen man, wie Riegeln, hätte Sachen aufhängen können; Mähnen und
Haare, ohne Wartung und Pflege, zusammengeknetet: das wahre Bild des Elends im Tierreiche!
Kohlhaas, den die Pferde, mit einer schwachen Bewegung, anwieherten, war auf das äußerste
entrüstet, und fragte, was seinen Gaulen widerfahren wäre? Der Junge, der bei ihm stand,
antwortete, daß ihnen weiter kein Unglück zugestoßen wäre, daß sie auch das gehörige Futter
bekommen hätten, daß sie aber, da gerade Ernte gewesen sei, wegen Mangels an Zugvieh, ein
wenig auf den Feldern gebraucht worden wären. Kohlhaas fluchte über diese schändliche und
abgekartete Gewalttätigkeit, verbiß jedoch, im Gefühl seiner Ohnmacht, seinen Ingrimm, und
machte schon, da doch nichts anders übrig blieb, Anstalten, das Raubnest mit den Pferden nur
wieder zu verlassen, als der Schloßvogt, von dem Wortwechsel herbeigerufen, erschien, und fragte,
was es hier gäbe? Was es gibt? antwortete Kohlhaas. Wer hat dem Junker von Tronka und dessen
Leuten die Erlaubnis gegeben, sich meiner bei ihm zurückgelassenen Rappen zur Feldarbeit zu
bedienen? Er setzte hinzu, ob das wohl menschlich wäre? versuchte, die erschöpften Gaule durch
einen Gertenstreich zu erregen, und zeigte ihm, daß sie sich nicht rührten. Der Schloßvogt, nachdem
er ihn eine Weile trotzig angesehen hatte, versetzte: seht den Grobian! Ob der Flegel nicht Gott
danken sollte, daß die Mähren überhaupt noch leben? Er fragte, wer sie, da der Knecht
weggelaufen, hätte pflegen sollen? Ob es nicht billig gewesen wäre, daß die Pferde das Futter, das
man ihnen gereicht habe, auf den Feldern abverdient hätten? Er schloß, daß er hier keine Flausen
machen möchte, oder daß er die Hunde rufen, und sich durch sie Ruhe im Hofe zu verschaffen
wissen würde. - Dem Roßhändler schlug das Herz gegen den Wams. Es drängte ihn, den
nichtswürdigen Dickwanst in den Kot zu werfen, und den Fuß auf sein kupfernes Antlitz zu setzen.
Doch sein Rechtgefühl, das einer Goldwaage glich, wankte noch; er war, vor der Schranke seiner
eigenen Brust, noch nicht gewiß, ob eine Schuld seinen Gegner drücke; und während er, die
Schimpfreden niederschluckend, zu den Pferden trat, und ihnen, in stiller Erwägung der Umstände,
die Mähnen zurecht legte, fragte er mit gesenkter Stimme: um welchen Versehens halber der Knecht
denn aus der Burg entfernt worden sei? Der Schloßvogt erwiderte: weil der Schlingel trotzig im
Hofe gewesen ist! Weil er sich gegen einen notwendigen Stallwechsel gesträubt, und verlangt hat,
daß die Pferde zweier Jungherren, die auf die Tronkenburg kamen, um seiner Mähren willen, auf
der freien Straße übernachten sollten! - Kohlhaas hätte den Wert der Pferde darum gegeben, wenn
er den Knecht zur Hand gehabt, und dessen Aussage mit der Aussage dieses dickmäuligen
Burgvogts hätte vergleichen können. Er stand noch, und streifte den Rappen die Zoddeln aus, und
sann, was in seiner Lage zu tun sei, als sich die Szene plötzlich änderte, und der Junker Wenzel von
Tronka, mit einem Schwarm von Rittern, Knechten und Hunden, von der Hasenhetze kommend, in
den Schloßplatz sprengte. Der Schloßvogt, als er fragte, was vorgefallen sei, nahm sogleich das
Wort, und während die Hunde, beim Anblick des Fremden, von der einen Seite, ein Mordgeheul
gegen ihn anstimmten, und die Ritter ihnen, von der andern, zu schweigen geboten, zeigte er ihm,
unter der gehässigsten Entstellung der Sache, an, was dieser Roßkamm, weil seine Rappen ein
wenig gebraucht worden wären, für eine Rebellion verführe. Er sagte, mit Hohngelächter, daß er
sich weigere, die Pferde als die seinigen anzuerkennen. Kohlhaas rief: »das sind nicht meine Pferde,
gestrenger Herr! Das sind die Pferde nicht, die dreißig Goldgülden wert waren! Ich will meine
wohlgenährten und gesunden Pferde wieder haben!« - Der Junker, indem ihm eine flüchtige Blässe
ins Gesicht trat, stieg vom Pferde, und sagte: wenn der H... A... die Pferde nicht wiedernehmen will,
so mag er es bleiben lassen. Komm, Günther! rief er - Hans! Kommt! indem er sich den Staub mit
der Hand von den Beinkleidern schüttelte; und: schafft Wein! rief er noch, da er mit den Rittern
unter der Tür war; und ging ins Haus. Kohlhaas sagte, daß er eher den Abdecker rufen, und die
Pferde auf den Schindanger schmeißen lassen, als sie so, wie sie wären, in seinen Stall zu
Kohlhaasenbrück führen wolle. Er ließ die Gaule, ohne sich um sie zu bekümmern, auf dem Platz
stehen, schwang sich, indem er versicherte, daß er sich Recht zu verschaffen wissen würde, auf
seinen Braunen, und ritt davon.
Spornstreichs auf dem Wege nach Dresden war er schon, als er, bei dem Gedanken an den Knecht,
und an die Klage, die man auf der Burg gegen ihn führte, schrittweis zu reiten anfing, sein Pferd,
ehe er noch tausend Schritt gemacht hatte, wieder wandte, und zur vorgängigen Vernehmung des
Knechts, wie es ihm klug und gerecht schien, nach Kohlhaasenbrück einbog. Denn ein richtiges, mit
der gebrechlichen Einrichtung der Welt schon bekanntes Gefühl machte ihn, trotz der erlittenen
Beleidigungen, geneigt, falls nur wirklich dem Knecht, wie der Schloßvogt behauptete, eine Art von
Schuld beizumessen sei, den Verlust der Pferde, als eine gerechte Folge davon, zu verschmerzen.
Dagegen sagte ihm ein ebenso vertreffliches Gefühl, und dies Gefühl faßte tiefere und tiefere
Wurzeln, in dem Maße, als er weiter ritt, und überall, wo er einkehrte, von den Ungerechtigkeiten
hörte, die täglich auf der Tronkenburg gegen die Reisenden verübt wurden: daß wenn der ganze
Vorfall, wie es allen Anschein habe, bloß abgekartet sein sollte, er mit seinen Kräften der Welt in
der Pflicht verfallen sei, sich Genugtuung für die erlittene Kränkung, und Sicherheit für zukünftige
seinen Mitbürgern zu verschaffen.
Sobald er, bei seiner Ankunft in Kohlhaasenbrück, Lisbeth, sein treues Weib, umarmt, und seine
Kinder, die um seine Kniee frohlockten, geküßt hatte, fragte er gleich nach Herse, dem Großknecht:
und ob man nichts von ihm gehört habe? Lisbeth sagte: ja liebster Michael, dieser Herse! Denke dir,
daß dieser unselige Mensch, vor etwa vierzehn Tagen, auf das jämmerlichste zerschlagen, hier
eintrifft; nein, so zerschlagen, daß er auch nicht frei atmen kann. Wir bringen ihn zu Bett, wo er
heftig Blut speit, und vernehmen, auf unsre wiederholten Fragen, eine Geschichte, die keiner
versteht. Wie er von dir mit Pferden, denen man den Durchgang nicht verstattet, auf der
Tronkenburg zurückgelassen worden sei, wie man ihn, durch die schändlichsten Mißhandlungen,
gezwungen habe, die Burg zu verlassen, und wie es ihm unmöglich gewesen wäre, die Pferde
mitzunehmen. So? sagte Kohlhaas, indem er den Mantel ablegte. Ist er denn schon wieder
hergestellt? - Bis auf das Blutspeien, antwortete sie, halb und halb. Ich wollte sogleich einen Knecht
nach der Tronkenburg schicken, um die Pflege der Rosse, bis zu deiner Ankunft daselbst, besorgen
zu lassen. Denn da sich der Herse immer wahrhaftig gezeigt hat, und so getreu uns, in der Tat wie
kein anderer, so kam es mir nicht zu, in seine Aussage, von so viel Merkmalen unterstützt, einen
Zweifel zu setzen, und etwa zu glauben, daß er der Pferde auf eine andere Art verlustig gegangen
wäre. Doch er beschwört mich, niemandem zuzumuten, sich in diesem Raubneste zu zeigen, und
die Tiere aufzugeben, wenn ich keinen Menschen dafür aufopfern wolle. - Liegt er denn noch im
Bette? fragte Kohlhaas, indem er sich von der Halsbinde befreite. - Er geht, erwiderte sie, seit
einigen Tagen schon wieder im Hofe umher. Kurz, du wirst sehen, fuhr sie fort, daß alles seine
Richtigkeit hat, und daß diese Begebenheit einer von den Freveln ist, die man sich seit kurzem auf
der Tronkenburg gegen die Fremden erlaubt. - Das muß ich doch erst untersuchen, erwiderte
Kohlhaas. Ruf ihn mir, Lisbeth, wenn er auf ist, doch her! Mit diesen Worten setzte er sich in den
Lehnstuhl; und die Hausfrau, die sich über seine Gelassenheit sehr freute, ging, und holte den
Knecht.
Was hast du in der Tronkenburg gemacht? fragte Kohlhaas, da Lisbeth mit ihm in das Zimmer trat.
Ich bin nicht eben wohl mit dir zufrieden. - Der Knecht, auf dessen blassem Gesicht sich, bei diesen
Worten, eine Röte fleckig zeigte, schwieg eine Weile; und: da habt Ihr recht, Herr! antwortete er;
denn einen Schwefelfaden, den ich durch Gottes Fügung bei mir trug, um das Raubnest, aus dem
ich verjagt worden war, in Brand zu stecken, warf ich, als ich ein Kind darin jammern hörte, in das
Elbwasser, und dachte: mag es Gottes Blitz einäschern; ich wills nicht! - Kohlhaas sagte betroffen:
wodurch aber hast du dir die Verjagung aus der Tronkenburg zugezogen? Drauf Herse: durch einen
schlechten Streich, Herr; und trocknete sich den Schweiß von der Stirn: Geschehenes ist aber nicht
zu ändern. Ich wollte die Pferde nicht auf der Feldarbeit zu Grunde richten lassen, und sagte, daß sie
noch jung wären und nicht gezogen hätten. - Kohlhaas erwiderte, indem er seine Verwirrung zu
verbergen suchte, daß er hierin nicht ganz die Wahrheit gesagt, indem die Pferde schon zu Anfange
des verflossenen Frühjahrs ein wenig im Geschirr gewesen wären. Du hättest dich auf der Burg,
fuhr er fort, wo du doch eine Art von Gast warest, schon ein oder etliche Mal, wenn gerade, wegen
schleunigst Einführung der Ernte Not war, gefällig zeigen können. - Das habe ich auch getan, Herr,
sprach Herse. Ich dachte, da sie mir grämliche Gesichter machten, es wird doch die Rappen just
nicht kosten. Am dritten Vormittag spannt ich sie vor, und drei Fuhren Getreide führt ich ein.
Kohlhaas, dem das Herz emporquoll, schlug die Augen zu Boden, und versetzte: davon hat man mir
nichts gesagt, Herse! - Herse versicherte ihn, daß es so sei. Meine Ungefälligkeit, sprach er, bestand
darin, daß ich die Pferde, als sie zu Mittag kaum ausgefressen hatten, nicht wieder ins Joch spannen
wollte; und daß ich dem Schloßvogt und dem Verwalter, als sie mir vorschlugen frei Futter dafür
anzunehmen, und das Geld, das Ihr mir für Futterkosten zurückgelassen hattet, in den Sack zu
stecken, antwortete - ich würde ihnen sonst was tun; mich umkehrte und wegging. - Um dieser
Ungefälligkeit aber, sagte Kohlhaas, bist du von der Tronkenburg nicht weggejagt worden. - Behüte
Gott, rief der Knecht, um eine gottvergessene Missetat! Denn auf den Abend wurden die Pferde
zweier Ritter, welche auf die Tronkenburg kamen, in den Stall geführt, und meine an die Stalltür
angebunden. Und da ich dem Schloßvogt, der sie daselbst einquartierte, die Rappen aus der Hand
nahm, und fragte, wo die Tiere jetzo bleiben sollten, so zeigte er mir einen Schweinekoben an, der
von Latten und Brettern an der Schloßmauer auferbaut war. - Du meinst, unterbrach ihn Kohlhaas,
es war ein so schlechtes Behältnis für Pferde, daß es einem Schweinekoben ähnlicher war, als einem
Stall. - Es war ein Schweinekoben, Herr, antwortete Herse; wirklich und wahrhaftig ein
Schweinekoben, in welchem die Schweine aus- und einliefen, und ich nicht aufrecht stehen konnte.
- Vielleicht war sonst kein Unterkommen für die Rappen aufzufinden, versetzte Kohlhaas; die
Pferde der Ritter gingen, auf eine gewisse Art, vor. - Der Platz, erwiderte der Knecht, indem er die
Stimme fallen ließ, war eng. Es hauseten jetzt in allem sieben Ritter auf der Burg. Wenn Ihr es
gewesen wäret, Ihr hättet die Pferde ein wenig zusammenrücken lassen. Ich sagte, ich wolle mir im
Dorf einen Stall zu mieten suchen; doch der Schloßvogt versetzte, daß er die Pferde unter seinen
Augen behalten müsse, und daß ich mich nicht unterstehen solle, sie vom Hofe wegzuführen. - Hm!
sagte Kohlhaas. Was gabst du darauf an? - Weil der Verwalter sprach, die beiden Gäste würden bloß
übernachten, und am andern Morgen weiter reiten, so führte ich die Pferde in den Schweinekoben
hinein. Aber der folgende Tag verfloß, ohne daß es geschah; und als der dritte anbrach, hieß es, die
Herren würden noch einige Wochen auf der Burg verweilen. - Am Ende wars nicht so schlimm,
Herse, im Schweinekoben, sagte Kohlhaas, als es dir, da du zuerst die Nase hineinstecktest, vorkam.
- 's ist wahr, erwiderte jener. Da ich den Ort ein bissel ausfegte, gings an. Ich gab der Magd einen
Groschen, daß sie die Schweine woanders einstecke. Und den Tag über bewerkstelligte ich auch,
daß die Pferde aufrecht stehen konnten, indem ich die Bretter oben, wenn der Morgen dämmerte,
von den Latten abnahm, und abends wieder auflegte. Sie guckten nun, wie Gänse, aus dem Dach
vor, und sahen sich nach Kohlhaasenbrück, oder sonst, wo es besser ist, um. - Nun denn, fragte
Kohlhaas, warum also, in aller Welt, jagte man dich fort? - Herr, ich sags Euch, versetzte der
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