Richard Skowronnek - Am Spirdingsee.doc

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uf dem Außenrande des Grenzgrabens saß ein

Richard Skowronnek

 

Am Spirdingsee

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf dem Außenrande des Grenzgrabens saß ein junges Mädchen in schmuckloser Alltagskleidung.

 

Sie hatte die Hände über den Knien ineinander verschlungen und starrte trüben Auges in die Dämmerung hinaus, die allgemach über den weiten Wassern des Spirdings hernieder sank. Hinter ihr, in dem trockenen Graben gegen spähende Blicke gedeckt, lag ein Mann von fremdartigem Aussehen. Blond gelocktes Haupt- und Barthaar, das nie ein Scheermesser berührt, umrahmte ihm das offene, sonnengebräunte Antlitz, seine Brust umschloß eine ärmellose Weste aus großgeblümtem Kattun, mit zwei Reihen glänzender Messingknöpfe dicht besetzt. Die breiten Beinkleider steckten in weichen Kniestiefeln, den Kopf bedeckte ein aus gespaltenen Wurzeln kunstvoll geflochtener Hut. Es war die Tracht der kleinrussischen Bauern, an der die Philipponen, jene fremdartigen Siedler im Herzen des Masurenlandes, ebenso zähe festhalten,  wie an ihren angestammten Sitten und dem mit Märtyrerblut besiegelten Bekenntnis.-

 

Es nützt uns doch Alles nichts, Ulas, begann jetzt das Mädchen mit müder Stimme, in die verhaltenes Schluchzen hineinklang. Drum geh mir nicht mehr nach, Geliebter, und laß ab von mir. Unsere Wege führen aus dieser Welt nicht zusammen.

 

Du hast kein Zutrauen zu mir, fuhr der junge Philippone auf, sonst könntest du nicht so zu mir sprechen, Malka!

 

Kein Zutrauen zu dir? O du Lieber! Aber sieh, wenn wir alles gegeneinander abwägen, woher willst du noch die Hoffnung nehmen? Wir sind arm, des Arscheny Vater ist Schulz in Eurem Dorfe und der Patriarch seines Vaters Bruder, - was willst du also gegen ihn ausrichten? Und so wirst du die Slonia heiraten, und ich werde allein sein und verlassen. Drum ist es besser, du läßt mich gleich und fügst dich, ehe sie dir Gewalt antun.

 

Nun, dann hör’ auch du, Malka, mein Augenstern, was ich dir zum letzten Male sage. Die Slonia, das Fräulein - er spie verächtlich aus - die der Arscheny als seine Wirtin - er spie wieder aus - in der Welt herumgeschleppt hat, bis sie sich in ihrem Zustande nicht mehr sehen lassen  kann, die nehme ich nicht. Eher soll mich - doch ich will nicht fluchen mein Täubchen, beschwichtigte er, als er merkte, daß Malka ihm ihre Hand entziehen wollte, die er in seiner schwieligen Rechten hielt. Sieh, mein goldenes Liebchen, noch zwei Fahrten mache ich mit dem Holzfloß auf dem See, dann gehe ich auf Brettschneiderarbeit bis in die deutsche Gegend hinter Lyck. Und zum Herbst habe ich so viel beisammen, daß ich dich in das Nestchen holen kann, das ich dir gebaut.

 

Wenn sie dich bis dahin nicht beiseite geschafft haben, wie damals den armen Maxim, warf das Mädchen seufzend ein.

 

Ulas wies lachend seine weißen Zähne: Ich habe keine Angst davor! Aber jetzt frage ich dich:Willst du mir treu sein und auf mich warten?Malka richtete ihre großen braunen Augen auf den Geliebten und schmiegte sich an ihn:

 

Wenn du im Herbste wiederkommst, wirst du mich finden.

 

Ausjauchzend warf der junge Bursche den Hut in die Luft und schlang seine Arme um den schlanken Leib seiner Liebsten. Einen Augenblick lang preßte sie heiß ihre Lippen aus seinen Mund, dann entwand sie sich ihm und eilte flüchtigen Fußes davon.

 

Ulas Jawor war, so zu sagen, aus der Art geschlagen. Früh verwaist, war er vater- und mutterlos in der Philipponengemeinde aufgewachsen, hatte bei den Bauern die Schweine gehütet und in dem königlichen Forst Holz gestohlen, just wie die Anderen auch. Eines Tages war er jedoch dem Schulmeister des Nachbardorfes Weissuhnen in die Hände gefallen, und der alte Sonderling, der in dem kleinen Fischerdorfe ein wunderliches Junggesellenleben führte, hatte an dem aufgeweckten und hübschen Burschen Gefallen gefunden. Er nahm ihn zu sich und lehrte ihn, was er selbst wußte. Viel war es gerade nicht, aber es genügte, um Ulas die Anschauung beizubringen, daß der Mensch nicht erst beim Philipponen anfange, wie er es zu Hause vom Patriarchen in der Kirche gehört hatte, der alle Andersgläubigen kurzer Hand für unreine Schweine erklärte. So war er denn nach dein Tode seines Wohltäters nicht wieder nach Onufrigowen, der Siedelstätte seiner Glaubensgenossen, zurückgekehrt, sondern hatte in der weiten Welt sein Glück versucht, erst als Brettschneider und schließlich als Arbeiter an der neuen Eisenbahn, der ersten, die in Masuren gebaut wurde.

 

Schließlich, als er sich ein kleines Sümmchen erspart, hatte es ihn wieder nach der Heimat gezogen. Er hatte sich davon überzeugen müssen, ob seine Jugendgespielin, die braunäugige Malka, noch ledig sei. Sie war’s noch, und so kam es, daß er sich als Flößer verdingte und nun von einem Ende des großen Spirdingsees zum andern fuhr. Eines Tages hatte er von dem Patriarchen in Onufrigowen die Weisung erhalten, sich für den ersten Osterfeier- tag in der Gemeinde zu stellen, da es an der Zeit sei, daß das heilige Sakrament der Wiedertaufe an ihm vollzogen werde. Widerwillig war er dem Rufe gefolgt und hatte widerwillig mit den Jünglingen seines Jahrganges die Zeremonie über sich ergehen lassen. Als er sich dann still entfernen wollte, hatte ihn der Patriarch bei Seite genommen und ihm eröffnet, daß sein unstetes Vagabundenleben fern von der Gemeinde der Stammesgenossen ein Ende haben müsse. Deshalb sei im Verein mit den Ältesten beschlossen, ihn zu verheiraten und ihm dazu die Slonia ausgesucht worden, des reichen Arscheny Wirtin, die sich ein paar hundert Taler erspart hätte und außerdem von ihrem Vater schon einige Morgen Ackerland mit einem kleinen Häuschen besäße. Ulas hatte geantwortet, er bäte um Zeit, um sich den Vorschlag zu überlegen, war dann fortgestürmt und hatte sich von dem Tage an in dem  Heimatdorfe nicht mehr blicken lassen. Die geheimnisvollen Mahnungen, die er von Zeit zu Zeit erhielt, schlug er in den Wind, obwohl sie immer drohender wurden. Und nun, wo er mit Malkas Treueversprechen hinauszog in die weite Welt, verlachte er sie erst recht.

 

Langsam schlenderte er am Seeufer entlang dem Dorfe zu, in welchem sein Liebchen beim Krugwirte als Magd diente. Sonst pflegte er nicht hinter der Flasche zu sitzen, aber heute drängte es ihn, mit Menschen zusammen zu sein. Vielleicht, daß es ihm auch noch glückte, im Vorbeigehen einen Blick, ein flüchtiges Wort mit Malka zu tauschen.

 

Auf den Flößen, die dicht nebeneinander gedrängt fast die ganze Bucht des Sees füllten, brannten lustig flackernde Kienfeuer. Über den Flammen hing der brodelnde Kessel, in dem das Abendessen kochte; malerische Gestalten lagen in zerlumpte Decken gewickelt um die Feuer und lauschten den Klängen der Ziehharmonika, während die große Schnapsflasche von einem zum andern ging.

 

Als Ulas neben seinem Flosse vorüberkam, das dicht am Lande lag, hörte er seinen Namen nennen.

 

An der Stimme erkannte er Saschul Schlachta, einen baumlangen, dunkelbärtigen Philipponen, der weit  und breit in den Seedörfern seiner Rohheit und Rauflust wegen berüchtigt war. Eiskalt überlief es ihn: das war die letzte Mahnung des Patriarchen.

 

Im ersten Augenblick dachte er daran, sich durch einen schnellen Sprung auf das Floß und von dort auf den kleinen Schleppdampfer zu retten, dessen rote Signallaterne durch das dunkel herüberleuchtete, doch ein Geräusch zu seiner Linken belehrte ihn, daß dieser Weg schon verstellt sei. Er faßte sich, so gut es ging, und fragte möglichst gleichgültig:

 

Ach Saschul, du? Was bringst du mir Neues? Damit setzte er sich ins Gra...

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