Denkschrift0109.pdf

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Das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts:
- Auswege aus dem drohenden Justizkonflikt -
1. Das BVerfG will fortan verstärkt prüfen, ob die EU-Organe (a) ihre Kompetenz-
grundlagen überschreiten - sog. "ausbrechender Akt" - oder (b) die Verfassungsiden-
tität verletzen - sog. "Identitätskontrolle". Dies geht über das Maastricht-Urteil in zwei-
facher Hinsicht hinaus: Erstens ist von einem "Kooperationsverhältnis" zum EuGH
nicht mehr die Rede, vielmehr möchte das BVerfG seine Letztentscheidungsbefugnis
schon dann ausüben, wenn Rechtsschutz zum EuGH nicht zu erlangen ist (Rn. 240).
Zweitens verwehrt das BVerfG dem EuGH die Fortbildung des EU-Rechts ("autono-
me Vertragsausdehnung"): Auslegung ja, Richterrecht nein (Rn. 338). Grundlegende
EU-Rechtssätze stehen damit auf dem Spiel, etwa die Staatshaftung für die Verlet-
zung des EU-Rechts ("Francovich-Doktrin") oder vom EuGH "geschöpfte" Grund-
rechte, zuletzt etwa das Verbot der Altersdiskriminierung ("Mangold-Urteil").
2. Die Art und Weise der Formulierungen lässt befürchten, dass das BVerfG auf
einen Justizkonflikt mit dem EuGH zusteuert. Anlässe gibt es genug, z.B. die Verfas-
sungsbeschwerden i.S. Vorratsdatenspeicherung oder das Verfahren Honeywell. Die
Folgen wären außerordentlich fatal: Würden EU-Vorschriften oder -Urteile in
Deutschland nicht anerkannt ("unanwendbar"), müsste die EU-Kommission ein Ver-
tragsverletzungsverfahren schon deshalb einleiten, weil sie negative Präjudizien in
anderen Mitgliedstaaten vermeiden muss. Ein EuGH-Urteil wäre zudem ggf. mit ein-
schneidenden Finanzsanktionen verbunden (Pauschalbeträge und Zwangsgelder).
Diese Finanzsanktionen hätte Deutschland - sofern das BVerfG nicht doch noch zu-
rückwiche - dauerhaft zu entrichten, weil der Gesetzgeber an die BVerfG-
Entscheidung "nicht herankommt". Im Falle einer Zahlungsverweigerung könnte die
EU-Kommission mit Finanztransfers aufrechnen. Was als "bloßer Justizkonflikt" be-
ginnt, würde zwangsläufig zu einem Konflikt über die mitgliedschaftlichen Rechte und
Pflichten eskalieren.
3. Die betonte BVerfG-Kontrolle mag man begrüßen, aber: sie sollte kooperativ
mit dem EuGH erfolgen! Dem EuGH muss insbesondere zuvor Gelegenheit gegeben
werden, sich mit den Zweifeln des BVerfG zu befassen und ggf. seine Rechtspre-
chung zu präzisieren oder zu modifizieren. Leider sieht sich das BVerfG zu einer Vor-
lage an den EuGH aber nicht in der Lage, jedenfalls hat es dem EuGH noch niemals
Fragen zum EU-Recht vorgelegt. Entschärft werden kann der drohende Justizkonflikt
deshalb nur, sofern man eine ausdrückliche Vorlagepflicht in das BVerfG-Gesetz
aufnimmt –
z.B. § 13a BVerfGG (neu): "Ist in einem Verfahren vor dem Bun-
desverfassungsgericht die Auslegung der vertraglichen Grundla-
gen der Europäischen Union oder die Gültigkeit und die Ausle-
gung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen
Stellen der Europäischen Union entscheidungserheblich, ist das
Bundesverfassungsgericht zur Vorlage dieser Frage an den Ge-
richtshof der Europäischen Union verpflichtet."
Immerhin hat das BVerfG angeregt, das Verfahren der ultra-vires- und Identitäts-
kontrolle ausdrücklich zu regeln (Rn. 241). Es obliegt demnach dem Gesetzgeber,
auch das aufgezeigte Konfliktpotential zu reduzieren.
Prof. Dr. Jan Bergmann, Richter, VGH Baden-Württemberg / Universität Stuttgart
Prof. Dr. Armin von Bogdandy, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches
Recht und Völkerrecht, Heidelberg
Prof. Dr. Christian Calliess, Freie Universität Berlin
Gunther Dieterich, Richter, Hessischer VGH, Kassel
Dr. Donat Ebert, Rechtsanwalt, Fürstenwalde/Budapest
Raphael Epe, Richter, VGH Baden-Württemberg
Prof. Dr. Ulrich Fastenrath, Technische Universität Dresden
Bernhard Freisler, Ltd. Regierungsdirektor, Stuttgart
Dr. Werner Heermann, Richter, Association of European Administrative Judges, Vi-
ce-President, Verwaltungsgericht Würzburg
Dr. Wilfried Holz, Richter, Verwaltungsgericht Karlsruhe
Bernd-Friedemann Joop, Richter, Verwaltungsgericht Dresden
Prof. Dr. Wolfgang Kahl, Universität Heidelberg
Dr. Ulrich Karpenstein, Rechtsanwalt, Kanzlei Redeker Berlin
Dr. Matthias Keller, Vors. Richter, Verwaltungsgericht Aachen
Prof. Dr. Thorsten Kingreen, Universität Regensburg
Prof. Dr. Christian Koenig, Zentrum für Europäische Integrationsforschung, Bonn
Prof. Manfred Matjeka M.A. , Hochschule Ludwigsburg
Prof. Dr. Franz Mayer LL.M., Universität Bielefeld
Dr. Rudolf Mögele, Brüssel
Prof. Dr. Dr. h.c. Ingolf Pernice, Humboldt-Universität Berlin
Prof. Dr. Konrad Redeker, Rechtsanwalt, Bonn
Peter Roitzheim, Richter, Verwaltungsgericht Aachen
Dr. Richard Rudisile, Vors. Richter, Verwaltungsgericht Stuttgart
Dieter Rügge, Vors. Richter a.D., Landgericht Detmold
Dr. Dieter Sellner, Rechtsanwalt, Berlin
Dr. Hermann Schöllhorn LL.M.eur., Stuttgart
Prof. Dr. Christian Schrader, Hochschule Fulda
Prof. Dr. Torsten Stein, Europa-Institut, Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Prof. Dr. Christian Tomuschat, Humboldt-Universität Berlin
Dr. Jörg Ukrow, LL.M.eur., Landesmedienanstalt Saarland
Jobst von Werder, Rechtsanwalt, Hamburg
Dr. Johannes Wasmuth, Rechtsanwalt, München
Dr. Joachim Wuermeling, LL.M., Staatssekretär a.D., Berlin
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