Atlan - Der Held von Arkon
Nr. 237
Akon-Akon
Hexenkessel der Transmitter
von Dirk Hess
Das Erbe der Ahnen beherrscht ihre Welt - und das Todesspiel bestimmt ihr Dasein
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen.
Gegen diese inneren Feinde ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindliche Rückschläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen.
In diesem Kampf hatte Atlan mit dem wiederbelebten Körper Gonozals, seines Vaters, kurzfristig eine neue wirksame Waffe gegen Orbanaschol. Doch dann, nach dem Abflug von Perpandron, der Welt der Goltein-Heiler, kommt es auf Atlans Raumschiff zu folgenschweren Ereignissen, von denen alle Besatzungsmitglieder der ISCHTAR betroffen werden.
Akon-Akon, der mysteriöse junge Mann, der auf Perpandron an Bord genommen wurde, entpuppt sich bei seinem Erwachen als Psycho-Tyrann. Mit seinen unheimlichen Fähigkeiten beherrscht er die Männer und Frauen der ISCHTAR und dirigiert sie nach seinem Willen.
Nachdem er Atlan und Fartuloon auf Ketokh zurückgelassen hat, zwingt er die Besatzung der ISCHTAR, Kledzak-Mikhon anzusteuern, den Planeten der Loghanen. Dort kämpft man im HEXENKESSEL DER TRANSMITTER …
Die Hauptpersonen des Romans:
Snayssol - Ein wißbegieriger Eingeborener von Kledzak-Mikhon.
Rassafuyl, Tamoyl und Kenyol - Obmänner der Loghanen.
Hover-Maracul - Ein Opfer der Schwarzen Tore.
Akon-Akon - Herr der ISCHTAR.
Ra - Der Barbar unternimmt eine Rettungsexpedition.
Die Station des Magnortöters
Das Universum war schon immer voller Legenden, Widersprüchlichkeiten und ungeklärter Phänomene. Die Geschichten der Raumfahrer wurden ständig ergänzt. Farbenprächtige Ausschmückungen, verliehen ihnen zusätzlichen Reiz. Im unendlichen Kosmos gab es Dinge, die Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges miteinander verschmelzen ließen. In den galaktischen Legenden herrschte die Einheit von Raum und Zeit.
Der Magnortöter Klinsanthor war eine solche Legende.
Niemand kannte den Magnortöter. Niemand wußte, wie er aussah, und keiner hatte seine Bekanntschaft lebend überstanden. Dennoch war Klinsanthor ein häufig verwandter Name in kosmischen Legenden. Schreckliches und Faszinierendes rankte sich um die Figur des kosmischen Töters.
Aus Fartuloons Erzählungen hatte ich mir ein bestimmtes Bild von Klinsanthor geschaffen. Dieses Bild war diffus und unbestimmbar. Sein Gesicht nahm niemals feste Konturen an. Der Magnortöter war für mich zum Inbegriff des Schrecklichen geworden.
Man brauchte Klinsanthor nur zu rufen, und er würde kommen.
Kosmische Entfernungen spielten dabei keine Rolle. Klinsanthor würde den Ruf vernehmen und sich auf den Weg machen. Mein Gegenspieler Orbanaschol III. hatte den Magnortöter gerufen. Ich wollte den Mörder meines Vaters vom arkonidischen Thron hinwegfegen – doch Orbanaschol hatte den Magnortöter auf mich gehetzt.
Ich hatte lange gebraucht, um diese Tatsache zu verdauen.
Kein Arkonide hatte den Befehl Orbanaschols verwirklichen können: Bringt mir Atlans Kopf! Ich erfreute mich bester Gesundheit. Trotzdem war meine Lage verzweifelt. Klinsanthor, der Unheimliche, hatte mich und Fartuloon erwischt. Es war bekannt, daß Klinsanthor seine Tötungsaufträge mit absoluter Perfektion erledigte.
Doch warum zögerte der Magnortöter mit der Hinrichtung?
Weil Orbanaschol den Lohn für unseren Tod verweigerte? Ich wußte es nicht. Der Unheimliche hatte sich zurückgezogen und wünschte keinen Kontakt mit seinen Opfern.
Fartuloon ging unruhig vor mir auf und ab. Die matten Frontscheiben der desaktivierten Bildschirme reflektierten seinen massigen Körper.
»Wie sieht der Magnortöter aus?« fragte ich.
»Diese Frage hast du mir schon oft gestellt«, erwiderte der Bauchaufschneider. »Du weißt genau, daß ich sie dir nicht beantworten kann. Aber ich ahne, was du damit ausdrücken willst. Du suchst eine Möglichkeit, um mit dem Unheimlichen ins Gespräch zu kommen. Ich zweifle daran, ob das jemals möglich sein wird …«
Ich unterbrach meinen Freund abrupt.
»Er sprach mit uns über seine Absichten. Er hätte uns töten können, doch er legte alle Karten offen auf den Tisch. So benimmt sich kein seelenloser Henker.«
»Das stimmt.« Fartuloon nickte. »Klinsanthor hätte uns töten können. Anscheinend ist sein Handel mit Orbanaschol noch nicht perfekt. Wenn der Herr über das Große Imperium den vereinbarten Lohn zahlt, wird Klinsanthor uns töten.«
»Es kann noch allerhand dazwischenkommen, Fartuloon!«
Das Schweigen in der Zentrale der großen Raumstation war bedrückend. Kein Stäubchen lag auf den Schaltkonsolen. Die Hebel und Tasten luden uns förmlich dazu ein, sie zu benutzen. Doch das hätte keinen Sinn gehabt. Die Instrumente würden unseren Befehlen nicht gehorchen. Obwohl wir inzwischen viele Räume der Station betreten konnten, waren wir wie in einem riesigen Käfig gefangen.
Unsere Lage war grotesk.
Wir kannten den Kerkermeister mit Namen, doch das war auch schon alles. Wir wußten nicht, wie er aussah, und was er wirklich dachte. Wir kannten den Ort unserer Gefangenschaft, doch wir hatten keine Chance, aus eigener Kraft hier auszubrechen. Das Gefängnis war perfekt. Perfekter als das gefürchtete Raumgefängnis Torren-Box.
Wir mußten gegen das aufkommende Gefühl der Ohnmacht ankämpfen.
Ich dachte an Scolaimon Nove. Wir hatten den Gestaltenwandler kurz nach unserem Eintreffen hier kennengelernt. Nove war ebenfalls Gefangener des Magnortöters gewesen, und er war wahnsinnig geworden. Um zu überleben mußten wir den Unglücklichen töten. Sollte uns ein ähnliches Schicksal bevorstehen? Sollten wir hier warten und langsam verrückt werden, um dann von zukünftigen Gefangenen des Magnortöters umgebracht zu werden?
»Ob uns Klinsanthor seelisch ruinieren will?«
Fartuloon sah mich nicht an. Er starrte verbissen zu Boden und zog die Knie an den Oberkörper an. Dann legte er sein Kinn darauf und schloß die Augen.
»Wir zerbrechen uns hier den Kopf, ob wir leben oder sterben müssen«, begann der Bauchaufschneider langsam. »Aber was draußen in der Galaxis geschieht, daran denken wir nicht mehr. Im Kampf gegen Orbanaschols Gewaltherrschaft sind wir nur zwei Figuren im Garabo-Spiel. Wir können jederzeit ersetzt werden. Es gibt genügend tapfere Arkoniden, die unseren Kampf fortsetzen können …«
»Unsere Freunde auf der ISCHTAR zum Beispiel!«
»Die werden uns längst abgeschrieben haben«, stieß Fartuloon kehlig hervor. »Klinsanthor wollte uns das deutlich vor Augen halten. Warum hätte er uns sonst auf dem Bildschirm gezeigt, daß unser Raumschiff einen fernen Planeten ansteuert?«
Ich erinnerte mich an die Szenen, die unser Kerkermeister auf dem Bildschirm eingeblendet hatte. Die dreihundert Meter große ISCHTAR steuerte eine Sauerstoffwelt an. Ich wußte nicht, in welcher galaktischen Region sich dieser Planet befand. Er konnte zehn, hundert oder auch hunderttausend Lichtjahre von der Station des Magnortöters entfernt sein.
»Was suchen unsere Freunde auf dem Planeten?« fragte ich.
Fartuloon zuckte mit den Schultern.
»Uns bestimmt nicht. Möglicherweise ist der Planet für Akon-Akon wichtig. Aber das ist auch nur eine Vermutung. Unsere Freunde befinden sich auch nicht gerade in der besten Lage. Dieser merkwürdige Junge, den wir auf Perpandron fanden, ist schuld an allen Veränderungen. Seine geheimnisvollen Kräfte haben uns auf Welten verschlagen, von denen wir bisher keine Ahnung hatten. Der Magnortöter hat sich diesen Umstand zunutze gemacht. Wir waren hilflos, und er hat uns gefangengenommen.«
Ich wollte nicht mehr an Akon-Akon denken. Ich mußte unbedingt Kontakt mit dem Magnortöter aufnehmen. Wenn er uns demonstrieren wollte, wie unbedeutend wir im Ränkespiel galaktischer Ereignisse waren, so war ihm das nur zum Teil gelungen. Meine Vermutung war kühn. Warum sollte ein Wesen, das sich vor keiner Macht zu fürchten brauchte, uns psychisch vernichten? Klinsanthor sollte über solche Regungen erhaben sein. Er war mächtig und unnahbar. Aber vielleicht schufen diese Eigenschaften das bedrohliche Gefühl der Einsamkeit. Ein mächtiger Einsamer konnte gefährlich werden. Seine Reaktionen waren unbestimmbar.
»Ob er sich noch einmal meldet?«
»Selbstverständlich«, stieß Fartuloon hervor. »Wenn er ausgeträumt hat, wird er über unser Schicksal entscheiden.«
Ich sah mich um. Die grauen Bildschirme schienen alle eine andere Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte war die Geschichte der ISCHTAR. Ich wußte, daß unser Raumschiff zur Landung auf jenem unbekannten Planeten ansetzte, den wir vorhin auf dem Bildschirm gesehen hatten. Meine Gedanken schweiften ab. Ich versuchte mir vorzustellen, welche Wesen diesen Planeten bevölkerten. Ich fragte mich, ob sie meine Freunde willkommen heißen würden, oder ob sie in ihnen und der ISCHTAR eine gefährliche Bedrohung aus dem All sahen. Obwohl ich den fremden Planeten noch nie zuvor gesehen hatte, kam er mir auf einmal sehr vertraut vor. Ich besaß genügend Phantasie, um mir seine Oberfläche plastisch ausmalen zu können. Vor meinem geistigen Auge entstand die Wunderwelt einer fremdartigen Zivilisation.
Das Gedankenspiel lenkte mich von der ständigen Bedrohung durch den Magnortöter ab.
In diesem Augenblick waren wir beide uns sehr ähnlich: Henker und Delinquent überließen sich den eigenen Träumen!
Ich hoffe, daß dieser unwirkliche Zustand bald zu Ende sein würde.
Kledzak-Mikhon, Planet der Schwarzen Tore
Snayssol war anders als die anderen Loghanen, die den Planeten bevölkerten. Er war ein Erbe. Eines Tages würde er vom Triumvirat in die engere Wahl eines Bewerbers um den höchsten Posten gezogen werden, den die loghanische Gesellschaft zu vergeben hatte.
Es war nicht ausgeschlossen, daß Snayssol einmal in das Triumvirat gewählt werden würde.
Doch der Gedanke daran erfreute ihn nicht. Das Amt verlangte Selbstaufgabe und ein asketisches Leben.
Als Wissender war man automatisch von den anderen Loghanen isoliert. Das Wissen über die Vergangenheit des Planeten machte die Mitglieder des Triumvirats zu Geheimnisträgern erster Klasse. Kein anderer Loghane durfte ihr Wissen besitzen.
Snayssol jedoch strebte nach diesem verbotenen Wissen, ohne auf die Annehmlichkeiten seines Lebens verzichten zu wollen. Er wollte Licht in das Dunkel der Vergangenheit bringen. Er wollte mehr über die Herkunft der Loghanen erfahren. Er wußte bereits, daß sie nicht auf dieser Welt entstanden waren. Der verlassene Raumhafen von Poal-To bewies das zur Genüge.
Das Triumvirat hatte sämtliche Spuren ausgetilgt, die Hinweise auf die Vergangenheit geben konnten.
Snayssols ungewöhnlich hoher Intelligenzquotient hatte ihn in den Rang eines Erben versetzt. Er brauchte sich nicht um seinen Lebensunterhalt zu kümmern. Er konnte tun und lassen was er wollte. Während die anderen seiner Artgenossen zu Überwachungsarbeiten in den automatischen Fabriken herangezogen wurden, trieb er Müßiggang. Dabei war ihm einiges aufgefallen. Er war rein zufällig darauf gestoßen, daß es in seinem Volke keine Wissenschaftler mehr gab. Die hochentwickelte Technik von Kledzak-Mikhon stagnierte. Die Loghanen kümmerten sich zwar um die Wartung der Maschinen, doch sie entwickelten die technischen Errungenschaften nicht mehr weiter.
Warum kümmerten sich die Loghanen nicht um den Fortschritt?
Warum war es verboten, nach der Vergangenheit zu fragen?
Wer hat die Raumschiffe verschwinden lassen?
Snayssol trottete langsam auf die Lichtung zu. Vielstimmiges Vogelgeschrei erfüllte den Wald. Die Flora und Fauna von Kledzak-Mikhon war vielfältig und wies die unterschiedlichsten Arten auf.
Ein kreisrunder See tauchte vor dem Loghanen auf.
Snayssol legte den bunten Kreuzgurt ab, den er quer über der Brust trug. Er atmete tief durch, und sein breiter Brustkorb wölbte sich wie eine Tonne vor. Die Luft in den Wäldern von Sover-Kar war frisch und unverbraucht. Hier herrschte nicht das Gedränge wie in den großen Städten.
Das Wasser war frisch und kühl.
Snayssol schöpfte es mit Hilfe seiner viergliedrigen Hände und trank in tiefen Zügen. Nachdem sich die Wellen gelegt hatten, sah er sein Spiegelbild im Wasser. Er sah den schimmernden grünen Pelz, der seinen Körper bedeckte. Seine Ohren ragten spitz in die Höhe. Sie verliehen ihm etwas Tierisches. Man konnte den Eindruck gewinnen, er würde ständig auf der Lauer liegen. Seine Nase war platt, und seine dunklen Lippen verbargen ein kräftiges Raubtiergebiß.
Snayssol wußte, daß es auf ganz Kledzak-Mikhon keine Tierart gab, die mit den Loghanen verwandt war. Das hatte nichts zu bedeuten. Doch es bestärkte den Erben in der Annahme, die Loghanen würden nicht von diesem Planeten stammen.
Snayssol warf einen Stein ins Wasser. Die Wellen zerstörten sein Spiegelbild.
Ich muß den Morgo-Morgon noch vor Einbruch der Dunkelheit in die Falle locken, dachte Snayssol. Ich habe bereits zuviel Zeit verloren.
Der Kampf mit dem Grauhaarigen sollte morgen nacht stattfinden. Ihm blieben also nur noch vierunddreißig Stunden. Wenn er ohne den Morgo-Morgon auf dem Kampfplatz erschien, war er erledigt. Der Grauhaarige würde ihn töten, ohne zu zögern.
Snayssol wußte, daß die Morgo-Morgons regelmäßig an diesen See kamen. In den späten Nachmittagsstunden erfrischten sie sich im Wasser. Es war jedoch schwer, einen gehörnten Morgo-Morgon zu fangen. Die Tiere waren intelligent und ungewöhnlich flink.
Plötzlich schrillte ein lautes Wiehern durch die Luft.
Snayssol sprang auf. Sein Körper dehnte sich. Er neigte lauschend den Kopf vor.
Er wußte, daß ganz in der Nähe ein Morgo-Morgon um sein Leben kämpfte.
Snayssol wurde nervös. Wenn sich ein anderer Loghane einen Morgo-Morgon fangen wollte, würde es zu einem Kampf auf Leben und Tod kommen. Snayssol durfte sich das Reittier von keinem anderen wegschnappen lassen.
»Das wirst du bereuen«, zischte Snayssol vor sich hin. »Der Morgo-Morgon gehört mir!«
Das Unterholz wurde dichter. Snayssol kam nur mühsam voran. Er hatte die Fangschnur fest um seine Schulter geschlungen. Der spitze Dolch steckte im Gürtel.
Er hatte bewußt auf eine Energiewaffe verzichtet, um die Patrouillen des Triumvirats nicht auf sich aufmerksam zu machen.
Vorsichtig teilte er die dornenbewehrten Äste zu seiner Linken. Der schmale Spalt im Dickicht gestattete ihm einen Blick auf den schräg ansteigenden Hang. Außer ein paar niedrigen Büschen wuchs dort nichts. Langstielige Fieberblüten reckten sich aus dem Unterholz. Er mußte aufpassen, daß er sie nicht berührte, denn die klebrigen Sekrete aus dem Innern der Blüte übertrugen eine tödliche Krankheit.
Das gequälte Stöhnen des Morgo-Morgons ließ noch einmal die Luft erzittern, brach dann abrupt ab.
Snayssol knirschte mit den Zähnen. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, daß ein anderer Loghane einen Morgo-Morgon quälte.
Es gehörte viel Geduld und Fingerspitzengefühl dazu, um ein solches Tier an den Reiter zu gewöhnen. Manche schafften es nie, anderen gelang es innerhalb weniger Stunden. Ein Morgo-Morgon ließ sich zu nichts zwingen. Wenn ihm der Geruch des Loghanen nicht gefiel, würde er niemals zulassen, daß sich der Mann auf seinen Rücken schwang.
Snayssol wich den Fieberblüten geschickt aus. Er kroch zwischen den Dornenbüschen hindurch. Dann stand er unmittelbar vor dem Hügel. Weiter oben flatterten ein paar schwarze Vögel auf.
Er steht auf der anderen Seite des Hügels, schoß es Snayssol durch den Kopf.
Der Loghane bewegte sich vollkommen lautlos vorwärts. Darin war er ein Meister. Viele Loghanen hatten es längst verlernt, sich der Natur des Planeten anzupassen. Sie lebten in vollklimatisierten Räumen und brauchten sich um nichts zu kümmern. Nicht einmal um die Nahrung. Die wurde ihnen durch ein positronisches Regelsystem praktisch auf den Tisch serviert.
Vorsichtig ließ sich Snayssol auf den Boden gleiten.
Er zog, den Dolch aus dem Gürtel und stützte sich mit der Linken hoch. Die Luft war stickig. Gluthitze lastete über dem Land.
Vor ihm lagen mehrere Felsen. Dicht hinter dem Hügelkamm ging es über mehrere Bodenwellen hinweg schräg abwärts. Der Boden war sandig. Über fast tausend Meter hinweg wuchs weder ein Baum noch ein Strauch.
Jetzt ertönte das Wimmern eines jungen Morgo-Morgons.
Snayssols Kopf ruckte nach rechts herum. Eine Felsengruppe versperrte ihm den Blick. Er bewegte sich lautlos auf allen vieren vorwärts. Als der Sand unter ihm wegrutschte, umklammerte er eine Luftwurzel; die aus dem Boden ragte.
Der Fremde hat den Morgo-Morgon mit einem Jungtier in die Falle gelockt, ging es ihm durch den Kopf. Das ist einfach, widerspricht aber den elementaren Regeln der Jagd. Kein Morgo-Morgon würde sich jemals zum Reittier ausbilden lassen, wenn es durch ein Jungtier in die Falle gelockt worden war. Das Tier würde ewig daran denken.
Snayssol kniff seine geschlitzten Augen zusammen.
Ich muß sofort eingreifen, dachte er bei sich. Der Fremde quält den Morgo-Morgon unnötig.
Als er den röchelnden Atem des gefangenen Tieres erneut vernahm, konnte er sich nicht mehr beherrschen. Er ließ die Luftwurzel los und rutschte den Abhang in einer aufwirbelnden Staubwolke hinunter. Sein Angriffsschrei dröhnte durch den Talkessel. Dann landete er auf allen vieren am Boden.
»Wo steckst du?« schrie Snayssol laut und vernehmlich. »Zeige dich! Ich will mit dir um den Morgo-Morgon kämpfen.«
Außer dem Wimmern des kleinen Tieres war nichts zu hören.
Snayssol lief auf die Felsgruppe zu, die wie eine rohe, unbehauene Skulptur vor ihm aufragte. Sein Atem ging keuchend. In seiner Rechten blitzte der Dolch.
»Sei kein Feigling! Stell dich zum Kampf!«
Plötzlich vernahm Snayssol das erregte Keuchen des Fremden. Es klang fast so, als würde man die Luft aus einem Blasebalg pressen. Aber kein normaler Loghane gab solche Geräusche von sich. Snayssol verlangsamte seine Gangart. Die Felsen waren noch knapp zehn Meter von ihm entfernt.
»Was ist los? Hat es dir die Sprache verschlagen?«
Der Fremde antwortete wieder nicht. Statt dessen ertönte gieriges Schmatzen. Doch auch diese Geräusche verstummten sofort wieder. Irgendein schwerer Gegenstand wurde aufgehoben. Dann waren schwere Schritte zu hören, die sich rasch vom Ort des Geschehens entfernten.
»He, bleib stehen«, schrie Snayssol.
Mit wenigen Sätzen umrundete er die Felsengruppe. Eine schmale Sandmulde lag jetzt offen vor ihm. Links öffnete sich ein weiterer Trichter. Fangleinen lagen am Boden. Doch das war nicht das Schlimmste. Snayssol erschauerte, als er den sterbenden Morgo-Morgon erblickte! Er spürte, wie sich sein Nackenpelz sträubte.
»Wo steckst du?« schrie Snayssol. Er hielt den Dolch stoßbereit in der Rechten. »Ich werde dich dafür töten.«
Der Fremde war verschwunden. Bis auf die Fangleinen, und die großen Fußabdrücke im Sand war nichts mehr von ihm zu sehen. Die Spuren verrieten Snayssol, daß der Mann in großen Sätzen davongesprungen war. Die dünne Einkerbung des rechten Abdrucks bewies, daß der Jäger hinkte. Snayssol wurde erst jetzt gewahr, daß die Abdrucke ungewöhnlich tief waren. Sein Gegner war viel größer und schwerer als er.
Snayssol fragte sich vergeblich, weshalb der Fremde den Morgo-Morgon so übel zugerichtet hatte.
Die Vorder- und Hinterbeine des Tieres waren brutal zusammengebunden worden. Das Tier konnte sich keinen Zentimeter bewegen. Es lag schmerzverkrümmt in der Sandkuhle. Im Nacken klafften tiefe Wunden. Sie rührten von einem stumpfen Gegenstand her. Seitlich quoll ein dunkelroter Blutstrom hervor. Der fremde Jäger mußte versucht haben, den Morgo-Morgon bei lebendigem Leibe zu verspeisen.
Snayssol zitterte vor Wut und Abscheu.
Er wich dem flehenden Blick des Tieres aus. Dann packte er blitzschnell den Dolch, holte schwungvoll aus und stieß ihm dem Morgo-Morgon bis zum Heft in den Nacken. Dort saßen die lebenswichtigen Nerven. Wurden sie durchtrennt, starb das Tier von einem Atemzug zum anderen.
Der Morgo-Morgon zitterte noch einmal, dann entspannten sich seine verkrampften Glieder. In die starr werdenden Augen trat ein friedlicher Glanz.
Snayssol atmete schwer.
Der Gnadentod war das einzige, womit er dem Tier noch dienen konnte. Salzige Tränen liefen ihm über die Wangenknochen und nisteten sich in seinem Gesichtspelz ein. Er sah die Sonne wie durch einen Schleier hindurch.
Dann stand er neben der anderen Sandkuhle.
Er wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Das Jungtier stand unbeholfen da. Es zerrte an dem Lederriemen, mit dem es der Unbekannte an einen Pfahl gefesselt hatte. Das Tier war höchstens zwei Monate alt. Es konnte noch nicht allein durch die Wälder ziehen. Es mußte erst noch lernen, wie man sich Nahrung beschaffte.
Snayssol kniete neben dem zitternden Kleinen nieder. Die Nüstern waren gebläht, und die großen Augen unnatürlich weit aufgerissen. Als er ihm beruhigend über den flauschigen Pelz strich, spürte er das Pochen der beiden Herzen. Sie hämmerten in schnellem Rhythmus. Die Halsadern hoben sich reliefartig ab.
»Ganz ruhig, mein Kleiner«, flüsterte Snayssol. »Ich schneide dich jetzt los.«
Der Dolch blitzte noch einmal auf, dann war das kleine Tier frei.
Es machte ein paar unbeholfene Schritte, doch dann knickte es mit den Vorderbeinen ein. Seine schwachen Kräfte reichten nicht aus, um es wieder auf die Beine zu bringen.
Snayssol lächelte. Der Lebenswille des kleinen Morgo-Morgons war ungebrochen. Er würde es zur Herde der großen Morgo-Morgons zurückbringen. Anschließend wollte er sich den grausamen Jäger vorknöpfen. Das schwor er sich in diesem Augenblick.
»Ich trage dich zu deinen Artgenossen«, sagte Snayssol und nahm das kleine Tier mit beiden Händen hoch.
Er ging quer durch den Talkessel. Er ahnte nicht, daß jede seiner Bewegung beobachtet wurde. Er konnte auch nicht wissen, daß der Fremde noch ganz in der Nähe war, um sein grausiges Mahl zu beenden.
Der Steppenboden erzitterte unter dem Trommelwirbel unzähliger Hufe.
Sie kommen näher, erkannte Snayssol. Jetzt darf ich keinen Fehler machen, sonst bekomme ich nie ein Reittier.
Obwohl die Sonne schon ziemlich tief stand, herrschte noch starke Hitze. Die Luft über den Felsen flimmerte. Über dem Blätterdach des Dschungels trieben Wolken von Insekten.
Snayssol kauerte mit dem kleinen Morgo-Morgon nieder. Eine Bodenwelle bot ihm Deckung. Er strich sanft über die Nüstern des kleinen Tieres. Es hatte inzwischen gemerkt, daß Snayssol ihm nichts antun wollte.
Ich muß sie ganz dicht an mich herankommen lassen, dachte Snayssol. Je näher, desto besser. Wenn ich beim ersten Wurf danebentreffe, kann ich die Jagd aufgeben.
Der kleine Morgo-Morgon spürte die Nähe seiner Artgenossen. Er wollte sich aus Snayssols Griff entwinden. Sein Wimmern war schwach und kläglich.
»Gib doch Ruhe«, stieß Snayssol ungeduldig hervor. »Gleich kannst, du laufen.«
In der Ferne erschien eine Staubwolke. Sie wurde rasch größer. Gelber Staub wurde unter den Hufen der Morgo-Morgons aufgewirbelt. Jetzt konnte man bereits einzelne Tiere erkennen. Sie preschten im Höllentempo über die Ebene. Snayssol spürte eine nie gekannte Erregung in sich aufsteigen. Das Jagdfieber hatte ihn gepackt. Er begann sich vorzustellen, wie er auf dem Rücken eines so prachtvollen Tieres durch die Wälder galoppieren würde. Die Fahrt mit einem offenen Gleiter war überhaupt nichts dagegen. Die Technik war etwas Künstliches.
Beschleunigte man einen Gleiter über das erlaubte Maß hinaus, wurde die Steuerung von der Lenkzentrale des Triumvirats blockiert. Der Fahrer erhielt eine Verwarnung. Nach mehrmaligem Verstoß gegen die Geschwindigkeitsbegrenzung wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen.
Snayssol verzog verächtlich die Mundwinkel. Er verachtete die Gesetze des Triumvirats. Er war der geborene Rebell.
Jetzt befeuchtete er den zweiten Finger seiner Rechten mit Speichel. Er hielt die Hand hoch. Der Wind kam aus derselben Richtung, aus der die Herde heranpreschte. Zufrieden lächelnd gab Snayssol dem kleinen Tier einen Schubs auf die Hinterbacken.
»Geh schon, Kleiner! Gleich bist du wieder bei den anderen. Verrate ihnen aber nichts von mir!«
Snayssol lachte leise. Er sah, wie der kleine Morgo-Morgon über die Grasbüschel hoppelte. Er blieb mehrmals stehen und schnappte angestrengt nach Luft. Dabei warf er den langgestreckten Kopf in den – Nacken und stieß einen Lockruf aus. Er h...
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