Grillparzer - Das Kloster bei Sendomir.pdf

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Franz Grillparzer
Das Kloster bei Sendomir
Erstellt am 04.07.2004
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Erzählung
Nach einer als wahr überlieferten Begebenheit
Die Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten die Abhänge eines der reizendsten Täler der
Woiwodschaft Sendomir. Wie zum Scheidekuß ruhten sie auf den Mauern des an der Ostseite
fensterreich und wohnlich prangenden Klosters, als eben zwei Reiter, von wenigen Dienern
begleitet, den Saum der gegenüberliegenden Hügelkette erreichten, und, von der Vesperglocke
gemahnt, nach kurzem, betrachtendem Verweilen, ihre Pferde in schärfern Trott setzten, taleinwärts,
dem Kloster zu.
Die Kleidung der späten Gäste bezeichnete die Fremden. Breitgedrückte, befiederte Hüte, das
Elenkoller vom dunklen Brustharnisch gedrückt, die straffanliegenden Unterkleider und hohen
Stulpstiefeln erlaubten nicht, sie für eingeborne Polen zu halten. Und so war es auch. Als Boten des
deutschen Kaisers zogen sie, selbst Deutsche, an den Hof des kriegerischen Johann Sobiesky,
und, vom Abend überrascht, suchten sie Nachtlager in dem vor ihnen liegenden Kloster.
Das bereits abendlich verschlossene Tor ward den Einlaßheischenden geöffnet, und der Pförtner hieß
sie eintreten in die geräumige Gaststube, wo Erfrischung und Nachtruhe ihrer warte; obgleich, wie
er entschuldigend hinzusetzte, der Abt und die Konventualen, bereits zur Vesper im Chor
versammelt, sich für heute die Bewillkommnung so werter Gäste versagen müßten. Die Angabe des
etwas mißtrauisch blickenden Mannes ward durch den eintönigen Zusammenklang halb sprechend,
halb singend erhobener Stimmen bekräftigt, die, aus dämpfender Ferne durch die hallenden Gewölbe
sich hinwindend, den Chorgesang einer geistlichen Gemeine deutlich genug bezeichneten.
Die beiden Fremden traten in das angewiesene Gemach, welches, obgleich, wie das ganze
Kloster, offenbar erst seit kurzem erbaut, doch altertümliche Spitzformen mit absichtlicher
Genauigkeit nachahmte. Weniges, doch anständiges Geräte war rings an den Wänden verteilt. Die
hohen Bogenfenster gingen ins Freie, wo der in Osten aufsteigende Mond, mit der letzten
Abendhelle kämpfend, nur sparsame Schimmer auf die Erhöhungen des hüglichten Bodens warf,
indes in den Falten der Täler und unter den Bäumen des Forstes sich allgemach die Nacht mit ihrem
dunkeln Gefolge lagerte, und stille Ruhe, hold vermischend, ihren Schleier über Belebtes und
Unbelebtes ausbreitete.
Die eigenen Diener der Ritter trugen Wein auf und Abendkost. Ein derbgefügter Tisch, in die
Brüstung des geöffneten Bogenfensters gerückt, empfing die ermüdeten Gäste, die, auf hohe Armstühle
gelagert, sich bald an dem zauberischen Spiele des Mondlichtes ergötzten, bald, zu Wein und
Speise zurückkehrend, den Körper für die Reise des nächsten Tages stärkten.
Eine Stunde mochte auf diese Art vergangen sein. Die Nacht war vollends eingebrochen,
Glockenklang und Chorgesang längst verstummt. Die zur Ruhe gesendeten Diener hatten eine
düsterbrennende Ampel, in der Mitte des Gemaches hängend, angezündet, und noch immer saßen die
beiden Ritter am Fenster, im eifrigen Gespräch; vielleicht vom Zweck ihrer Reise, offenbar von
Wichtigem. Da pochte es mit kräftigem Finger an die Türe des Gemaches, und ehe man noch,
ungern die Rede unterbrechend, mit einem: Herein! geantwortet, öffnete sich diese, und eine
seltsame Menschengestalt trat ein, mit der Frage: ob sie Feuer bedürften?
Der Eingetretene war in ein abgetragenes, an mehreren Stellen geflicktes Mönchskleid gehüllt, das
sonderbar genug gegen den derben, gedrungenen Körperbau abstach. Obgleich von Alter schon
etwas gebeugt und mehr unter als über der Mittelgröße, war doch ein eigener Ausdruck von
Entschlossenheit und Kraft über sein ganzes Wesen verbreitet, so daß, die Kleidung abgerechnet,
der Beschauer den Mann eher für alles, als für einen friedlichen Sohn der Kirche erkannt hätte. Haar
und Bart, vormals augenscheinlich rabenschwarz, nun aber überwiegend mit Grau gemischt und,
trotz ihrer Länge, stark gekräuselt, drängten sich in dichter Fülle um Stirne, Mund und Kinn. Das Auge,
klösterlich gesenkt, hob sich nur selten; wenn es aber aufging, traf es wie ein Wetterschlag, so
grauenhaft funkelten die schwarzen Sterne aus den aschfahlen Wangen, und man fühlte sich
erleichtert, wenn die breiten Lider sie wieder bedeckten. So beschaffen und so angetan, trat der
Mönch, ein Bündel Holz unter dem Arme, vor die Fremden hin, mit der Frage: ob sie Feuer bedürften?
Die beiden sahen sich an, erstaunt ob der seltsamen Erscheinung. Indessen kniete der Mönch
am Kamine nieder und begann Feuer anzumachen, ließ sich auch durch die Bemerkung nicht stören,
daß man gar nicht friere, und seine Mühe überflüssig sei. Die Nächte würden schon rauh, meinte er und
fuhr in seiner Arbeit fort. Nachdem er sein Werk vollendet, und das Feuer lustig brannte, blieb er
ein paar Augenblicke am Kamin stehen, die Hände wärmend, dann, ohne sich scheinbar um die
Fremden zu bekümmern, schritt er schweigend der Türe zu.
Schon stand er an dieser und hatte die Klinke in der Hand, da sprach einer der Fremden: »Nun
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Ihr einmal hier seid, ehrwürdiger Vater« -
»Bruder!« fiel der Mönch, wie unwillig, ein, und ohne sich umzusehen, blieb er, die Stirn gegen
die Türe geneigt, am Eingange stehen.
»Nun denn also, ehrwürdiger Bruder!« fuhr der Fremde fort, »da Ihr schon einmal hier seid, so
gebt uns Aufschluß über einiges, das wir zu wissen den Wunsch hegen.«
»Fragt!« sprach, sich umwendend, der Mönch.
»So wißt denn«, sagte der Fremde, »daß uns die herrliche Lage und Bauart Eures Klosters mit
Bewunderung erfüllt hat, vor allem aber, daß es so neu ist und vor kurzem erst aufgeführt zu sein
scheint.«
Die dunkeln Augen des Mönches hoben sich bei dieser Rede und hafteten mit einer Art
grimmigen Ausdruckes auf dem Sprechenden.
»Die Zeiten sind vorüber«, fuhr dieser fort, wo die Errichtung solcher Werke der Frömmigkeit nichts
Seltenes war. Wie lange steht das Kloster?«
»Wißt Ihr es vielleicht schon?« fragte, zu Boden blickend, der Mönch, »oder wißt Ihr es nicht?«
»Wenn das erstere, würde ich fragen?« entgegnete der Fremde.
»Es trifft sich zuweilen«, murmelte jener. »Drei Jahre steht dies Kloster. Dreißig Jahre!« fügte er
verbessernd hinzu und sah nicht auf vom Boden.
»Wie aber hieß der Stifter?« fragte der Fremde weiter. »Welch gottgeliebter Mann?« - Da brach
der Mönch in ein schmetterndes Hohngelächter aus. Die Stuhllehne, auf die er sich gestützt hatte,
brach krachend unter seinem Druck zusammen; eine Hölle schien in dem Blicke zu flammen, den
er auf die Fremden richtete, und plötzlich gewendet, ging er schallenden Trittes zur Türe hinaus.
Noch hatten sich die beiden von ihrem Erstaunen nicht erholt, da ging die Türe von neuem auf,
und derselbe Mönch trat ein. Als ob nichts vorgefallen wäre, schritt er auf den Kamin zu, lockerte mit
dem Störeisen das Feuer auf, legte Holz zu, blies in die Flamme. Darauf sich umwendend, sagte er:
»Ich bin der mindeste von den Dienern dieses Hauses. Die niedrigsten Dienste sind mir
zugewiesen. Gegen Fremde muß ich gefällig sein, und antworten, wenn sie fragen. Ihr habt ja auch
gefragt? Was war es nur?«
»Wir wollten über die Gründung dieses Klosters Auskunft einholen«, sprach der ältere der beiden
Deutschen, »aber Eure sonderbare Weigerung« -
»Ja, ja!« sagte der Mönch, »Ihr seid Fremde, und kennet Ort und Leute noch nicht. Ich möchte gar
zu gerne Eure törichte Neugierde unbefriedigt lassen, aber dann klagt Ihrs dem Abte, und der schilt
mich wieder, wie damals, als ich dem Palatin von Plozk an die Kehle griff, weil er meiner Väter
Namen schimpfte. Kommt Ihr von Warschau?« fuhr er nach einer kleinen Weile fort.
»Wir gehen dahin«, antwortete einer der Fremden.
»Das ist eine arge Stadt«, sagte der Mönch, indem er sich setzte. »Aller Unfrieden geht von dort
aus. Wenn der Stifter dieses Klosters nicht nach Warschau kam, so stiftete er überhaupt kein
Kloster, es gäbe keine Mönche hier, und ich wäre auch keiner. Da Ihr nicht von dorther kommt, mögt Ihr
rechtliche Leute sein, und, alles betrachtet, will ich Euch die Geschichte erzählen. Aber unterbrecht
mich nicht und fragt nicht weiter, wenn ich aufhöre. Am Ende sprech ich selbst gerne wieder einmal
davon. Wenn nur nicht so viel Nebel dazwischen läge, man sieht kaum das alte Stammschloß
durchschimmern - und der Mond scheint auch so trübe.« - Die letzten Worte verloren sich in ein
unverständliches Gemurmel, und machten endlich einer tiefen Stille Platz, während welcher der
Mönch, die Hände in die weiten Ärmel gesteckt, das Haupt auf die Brust gesunken, unbeweglich da
saß. Schon glaubten die beiden, seine Zusage habe ihn gereut, und wollten kopfschüttelnd sich
entfernen; da richtete er sich plötzlich mit einem verstärkten Atemzuge empor; die vorgesunkene
Kapuze fiel zurück; das Auge, nicht mehr wild, strahlte in fast wehmütigem Lichte; er stützte das dem
Mond entgegengewendete Haupt in die Hand und begann:
»Starschensky hieß der Mann, ein Graf seines Stammes, dem gehörte die weite Umgegend und
der Platz, wo dies Kloster steht. Damals war aber noch kein Kloster. Hier ging der Pflug; er selber
hauste dort oben, wo jetzt geborstene Mauern das Mondlicht zurückwerfen. Der Graf war nicht
schlimm, wenn auch gerade nicht gut. Im Kriege hieß man ihn tapfer; sonst lebte er still und
abgeschieden im Schlosse seiner Väter. Über eines wunderten sich die Leute am meisten: nie hatte
man ihn einem weiblichen Wesen mit Neigung zugetan gesehen, sichtlich vermied er den Umgang
mit Frauen. Er galt daher für einen Weiberfeind; doch war er keiner. Ein von Natur schüchterner
Sinn, und - laßt sehn ob ichs treffe!« sagte der Mönch, indem er sich aufrichtete - »ein über alles
gehendes Behagen am Besitz seiner selbst, hatte ihm bis dahin keine Annäherung erlaubt.
Abwesenheit von Unlust war ihm Lust. - Habt Ihr noch Wein übrig? Gebt mir einen Becher! Der Graf
war so schlimm nicht.«
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Der Mönch trank, dann fuhr er fort: »So lebte Starschensky, so gedachte er zu sterben; doch war
es ihm anders bestimmt. Ein Reichstag rief ihn nach Warschau. Unwillig über die Verkehrtheit der
Menge, deren jeder nur sich wollte, wo es das Wohl des Ganzen galt, ging er eines Abends durch
die Straßen der Stadt; schwarze Regenwolken hingen am Himmel, jeden Augenblick bereit, sich zu
entladen, dichtes Dunkel ringsum. Da hörte er plötzlich hinter sich eine weibliche Stimme, die zitternd
und schluchzend ihn anspricht: Wenn Ihr ein Mensch seid, so erbarmt Euch eines Unglücklichen!
Rasch umgewendet, erblickt der Graf ein Mädchen, das bittend ihm die Hände entgegenstreckt. Die
Kleidung schien ärmlich, Hals und Arme schimmerten weiß durch die Nacht. Der Graf folgt der
Bittenden. Zehn Schritte gegangen, tritt sie in eine Hütte, Starschensky folgt, und bald steht er mit
ihr allein auf dem dunkeln Flur. Eine warme, weiche Hand ergreift die seinige. - Seid Ihr
Ordensritter?« unterbrach sich der Mönch, zu dem Jüngeren der Fremden gewendet. »Was bedeutet
das Kreuz auf Eurem Mantel?« - »Ich bin Malteser«, entgegnete dieser. - »Ihr auch?« wendet der
Mönch sich zum zweiten. - »Keineswegs«, war die Antwort. - »Habt ihr Weib und Kinder?« -
»Beides hatt' ich nie.« - »Wie alt seid Ihr?« - »Fünfundvierzig.« - »So! so!« murmelte kopfnickend
der Mönch. Dann fuhr er fort:
»Ein bis dahin unbekanntes Gefühl ergriff den Grafen bei der Berührung der warmen Hand. Sie
erzählen ein morgenländisches Märchen von einem, dem plötzlich die Gabe verliehen ward, die
Sprache der Vögel und andern Naturwesen zu verstehen, und der nun, im Schatten liegend am
Bachesrand, mit freudigem Erstaunen rings um sich überall Wort und Sinn vernahm, wo er vorher
nur Geräusch gehört und Laute. So erging es dem Grafen. Eine neue Welt stand vor ihm auf, und
bebend folgte er seiner Führerin, die eine kleine Türe öffnete, und mit ihm in ein niederes,
schwacherleuchtetes Zimmer trat.
Der erste Strahl des Lichtes fiel auf das Mädchen. Starschenskys innerstes Wesen jubelte auf, daß
die Wirklichkeit gehalten, was die Ahnung versprach. Das Mädchen war schön, schön in jedem
Betracht. Schwarze Locken ringelten sich um Stirn und Nacken, und erhoben, mit der
gleichgefärbten Wimper, bis zum Sonderbaren den Reiz des hellblau strahlenden Auges. Der Mund
mit üppig aufgeworfenen, beinahe zu hochroten Lippen, ward keineswegs durch eine kleine Narbe
entstellt, die, als schmale, weißlich gefärbte Linie schräg abwärts laufend, sich in den Karmin der
Oberlippe verlor. Grübchen in Kinn und Wangen; Stirn und Nase, wie vielleicht gerade der Maler sie
nicht denkt, wie sie aber meinen Landsmänninnen wohl stehen, vollendeten den Ausdruck des
reizenden Köpfchens und standen in schönem Einklange mit den Formen eines zugleich schlank und
voll gebauten Körpers, dessen üppige Schönheit die ärmliche Hülle mehr erhob als verbarg. - Nicht
wahr, davon wißt Ihr nichts, Malteser? Ja, ja, bei dem alten Mönch rappelts einmal wieder! Laßt uns
noch eins trinken! - So, und nun gut.
Der Graf stand verloren im Anschaun des Mädchens und bemerkte kaum, daß in einem Winkel der
Hütte, auf moderndes Stroh gebettet, einen zerrissenen Sattel statt des Kissens unter dem Kopfe,
mit Lumpen bedeckt, die Jammergestalt eines alten Mannes lag, der jetzt die Hand aus seinen
ärmlichen Hüllen hervorstreckte, und mit erloschener Stimme fragte: Bist dus, Elga? Wen bringst du
mir da? - Hier der Unglückliche, sprach das Mädchen zu Starschensky gewendet, für den ich, durch
äußerste Not getrieben, Euer Mitleid ansprach. Er ist mein Vater, ein Edelmann von altem Stamm
und Adel, durch Verfolgung bis hierher gebracht. - Damit ging sie hin, und am Lager des Greises
niedergekauert, suchte sie, durch Zurechtrücken und Ausbreiten, in die Lumpen, die ihn bedeckten,
einen Schein von Anständigkeit und Ordnung zu bringen.
Der Graf trat näher. Er erfuhr die Geschichte. Der vor ihm lag, war der Starost von Laschek. Er
und seine zwei Söhne hatten sich in politische Verbindungen eingelassen, die das Vaterland
mißbilligte. Ihre Anschläge wurden entdeckt. Die beiden Söhne samt einigen Unvorsichtigen, die mit
ihnen gemeinsame Sache gemacht, traf Verbannung; der Vater, seiner Güter beraubt, war im Elend.
Im ersten Augenblicke, als Starschensky den Namen Laschek hörte, wußte er auch schon, daß die
Lage des Unglücklichen nicht ganz unverschuldet war. Denn, wenn er auch einer unmittelbaren
Teilnahme an den Anschlägen seiner Söhne nicht geradezu überwiesen werden konnte, so hatte er
doch durch Leichtsinn in der Jugend und üble Wirtschaft im vorgerückten Alter seinen Söhnen die
rechtlichen Wege des Emporkommens schwierig, und Wagnisse willkommen gemacht. All dies
war dem Grafen nicht verborgen. Aber es galt einen Unglücklichen zu retten, und Elgas Vater hatte
den beredtesten Fürsprecher bei dem Entbrannten für seine Tochter.
Laschek ward in eine anständige Wohnung gebracht, er und seine Tochter mit dem Notwendigen
versehen. Starschensky verwendete seinen Einfluß, seine Verbindungen, er ließ sich bis zu Geld und
Geschenken herab, um die Wiederherstellung des Entsetzten, die Rückberufung der Verbannten zu
erwirken. Glücklicherweise waren die äußeren Verhältnisse längst vorüber, welche die Anschläge jener
Unvorsichtigen gefährlich gemacht hatten. Verzeihung ward bewilligt; die Verwiesenen rüsteten sich
zur Heimkehr. Mehrere der Unglücksgenossen hatten, ihrem Leichtsinne treu, Dienste in fremden
Landen genommen; nur Lascheks beide Söhne und ein entfernter Verwandter des Hauses,
Oginsky genannt, machten Gebrauch von der schwer erlangten Erlaubnis. Täglich erwartete man
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ihre Ankunft.
Die Wiedergabe von Lascheks eingezogenen Gütern zeigte sich indes als wenig Nutzen
bringend. Täglich erschienen neue Gläubiger. Hauptstock und rückständige Zinsen verschlangen weit
den Wert des vorhandenen Unbeweglichen. Starschensky trat ins Mittel, bezahlte, verschuldete
seine eigenen Güter und konnte dennoch kaum einen geringen Rest der Stamm-Besitzungen, als
ein Pfropfreis für die Zukunft, retten.
Glücklicher schien er mittlerweile in seinen Bewerbungen um Elgas Herz. Als das Mädchen sich
zum erstenmale wieder in anständigen Kleidern erblickte, flog sie ihm beim Eintritte aufschreiend
entgegen, und ein lange nachgefühlter Kuß von ihren brennenden Lippen lohnte seine Vorsorge,
sein Bemühn. Dieser erste Kuß blieb freilich vorderhand auch der letzte, nichtsdestoweniger durfte
sich aber doch Starschensky mit der Hoffnung schmeicheln, ihrem Herzen nicht gleichgültig zu
sein. Sie war gern in seiner Gesellschaft, sie bemerkte und empfand seine Abwesenheit. Oft
überraschte er ihr Auge, das gedankenvoll und betrachtend auf ihn geheftet war; ja einigemale
konnte er nur durch schnelles Zurückziehen verhindern, daß nicht ein Kuß, den er gar zu gerne seinen
Lippen gegönnt hätte, auf seine Hand gedrückt wurde. Er war voll der schönsten Hoffnungen. Doch mit
einemmale änderte sich die Szene. Elga ward düster und nachdenkend. Wenn sonst ihre Neigung für
Zerstreuungen, für Kleiderzier und Lebensgenuß sich aufs bestimmteste aussprach, und manchmal
hart an die Grenzen des Zuviel zu streifen schien, so mied sie jetzt die Gesellschaft. Streitende
Gedanken jagten ihre Wolken über die schöngeglättete Stirne; das getrübte Auge sprach von Tränen,
und nicht selten drängte sich ein einzelner der störenden Gäste unter der schnellgesenkten Wimper
hervor. Starschensky bemerkte, wie der Vater sie dann ernst, beinahe drohend anblickte, und eine
erkünstelte Heiterkeit das Bestreben des Mädchens bezeichnete, einen heimlichen Kummer zu
unterdrücken. Einmal, rasch durchs Vorgemach auf die Türe des Empfangszimmers zuschreitend,
hörte Starschensky die Stimme des Starosten, der aufs heftigste erzürnt schien und sich sogar
ziemlich gemeiner Ausdrücke bediente. Der Graf öffnete die Türe und sah ringsum, erblickte aber kein
drittes; nur die Tochter, die nicht weinend und höchst erhitzt, vom Vater abgekehrt, im Fenster
stand. Ihr mußten jene Scheltworte gegolten haben. Da ward es fester Entschluß in der Seele des
Grafen, durch eine rasche Werbung um Elgas Hand, der marternden Ungewißheit des Verhältnisses
ein Ende zu machen.
Während er sich kurze Frist zur Ausführung dieses Vorsatzes nahm und Elgas vorige Heiterkeit
nach und nach zurückkehrte, langten die aus der Verbannung heimberufenen Angehörigen an. Elga
schien weniger Freude über den Wiederbesitz der so lange entbehrten Brüder zu empfinden, als der
Graf vorausgesetzt hatte. Am auffallendsten aber war ihre schroffe Kälte, um es nicht Härte zu
nennen, gegen den Gefährten von ihrer Brüder Schuld und Strafe, den armen Vetter Oginsky, den
sie kaum eines Blickes würdigte. Gut gebaut und wohl aussehend, wie er war, schien er eine solche
Abneigung durch nichts zu verdienen; vielmehr war in seinem beinahe zu unterwürfigen Benehmen
das Streben sichtbar, sich um die gute Meinung von jedermann zu bewerben. Keine Härte konnte
ihn aufbringen; nur schien ihm freilich jede Gelegenheit erwünscht, sich der beinahe verächtlichen
Behandlung Elgas zu entziehen. Zuletzt verschwand er ganz, und niemand wußte, wo er
hingekommen war.
Nun endlich trat der Graf mit seiner Bewerbung hervor, der alte Starost weinte Freudentränen,
Elga sank schamerrötend und sprachlos in seine Arme, und der Bund war geschlossen. Laute
Feste verkündeten der Hauptstadt Starschenskys Glück, und wiederholte, zahlreich besuchte Feste
versicherten ihn der allgemeinen Teilnahme. Durch eine Ehrenbedienstung am Hofe festgehalten,
lernte er bald sich in Geräusch und Glanz fügen, ja wohl gar daran Vergnügen finden, wenigstens
insoweit Elga es fand, deren Geschmack für rauschende Lustbarkeiten sich immer bestimmter
aussprach. Aber war sie nicht jung, war sie nicht schön? Hatte nicht, nach langen Unfällen, jede Lust
für sie den doppelten Reiz, als Lust und als neu? Der Graf gewährte und war glücklich. Nur eines
fehlte, um ihn ganz selig zu machen: schon war ein volles Jahr seit seiner Vermählung verstrichen,
und Elga gab noch keine Hoffnung Mutter zu werden.
Doch plötzlich ward der Rausch des Glücklichen auf eine noch weit empfindlichere Weise gestört.
Starschenskys Hausverwalter, ein als redlich erprobter Mann, erschien, trübe Wolken auf der
gefurchten Stirn. Man schloß sich ein, man rechnete, man verglich, und es zeigte sich bald nur zu
deutlich, daß durch das, was für Elgas Verwandte geschehen war, durch den schrankenlosen
Aufwand der letzten Zeit, des Grafen Vermögensstand erschüttert war und schleunige Vorsorge
erheischte. Das Schlimmste zu dieser Verwirrung hatten Elgas Brüder getan. Wie denn überhaupt
das Unglück nur Besserungsfähige bessert, so war die alles verschlingende Genußliebe des
leichtfertigen Paares durch die lange Entbehrung nur noch gieriger geworden. Auf die Kasse des
Grafen mit ihrem Unterhalte angewiesen, hatten sie den überschwenglichsten Gebrauch von dieser
Zugestehung gemacht, und nachdem der in Seligkeit schwimmende Graf auf die ersten Anfragen
seiner besorgten Geschäftsleute ungeduldig die Antwort erteilt hatte: man solle es nicht zu genau
nehmen und seinen Schwägern geben was sie bedurften, war bald des Forderns und Nehmens
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