Goosen Frank - Liegen lernen.pdf

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Liegen lernen
Frank Goosen
Liegen lernen
Roman
s&c by edoc
Eine Stadt im Ruhrgebiet, Anfang der 80er Jahre. Helmut ist 16 Jah-
re, besucht die Oberstufe eines Gymnasiums, hat Eltern, die nicht
miteinander reden, und eine Mutter, die immer nur wissen mchte,
was er eigentlich will. Vom Leben, zum Beispiel. Wenn er das nur
selbst so genau w¦te. Seine lakonische Selbsteinschtzung: dro-
genabstinenter, heterosexueller Nichtdemonstrierer, so wenig Enga-
gement wie ntig, so viel Leben (lassen) wie mglich. Helmut hrt
Platten von den Beatles und Dylan, tanzt zu Madness und Fischer Z,
trgt wie alle anderen Bckerhosen und verliebt sich in die Schul-
sprecherin Britta. Ihr zuliebe engagiert er sich in der Nicaragua-
Gruppe, sie fhrt den kleinbrgerlichen, immer etwas schchternen
Jungen in die Liebe ein. Zur ersten Liebe gehrt aber auch die erste
Enttuschung. Und so erzhlt Helmut rckblickend sein Leben als
Suche nach der einzigen Frau, die ihm etwas bedeutet hat, whrend
seine amoursen Abenteuer ihn in Wirklichkeit kaltlie¦en.
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¨ Eichborn AG, Frankfurt am Main, 2000
fr das Gedicht von Robert Gernhardt:
aus: Robert Gernhardt, Gedichte, 1954-1997.
Vermehrte Neuausgabe mit den Lichten Gedichten.
¨ Haffmans Verlag, Zrich 1999
Umschlaggestaltung: Moni Port unter Verwendung einer Lieblingsplatte
des Lektors (Fotografie ¨ Hartmuth Schrder)
Satz: Fuldaer Verlagsagentur, Fulda
Druck und Bindung: Clausen & Bosse, Leck
ISBN 3-8218-0854-3
Verlagsverzeichnis schickt gern: Eichborn Verlag, Kaiserstra¦e 66, D-60329
Frankfurt am Main www.eichborn.de
Dieses Buch ist in der alten Rechtschreibung gesetzt
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
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ÇVon einer Katze lernen hei¦t siegen lernen.
Wobei siegen Ûlocker durchkommenÚ meint, also praktisch: lie-
gen lernen.Æ
Robert Gernhardt
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Im September 1998 strzte ein Mann frhmorgens vornber
aus einer im Souterrain gelegenen Kreuzberger Kneipe in eine
Pftze brackigen Regenwassers und fhlte sich nun bereit fr
einen abschlie¦enden Dner. Sein Leben als verantwortungslo-
ses, bindungsunfhiges, triebhaftes Arschloch war definitiv an
einem Tiefpunkt angekommen. Gegenber war eine Plakat-
wand, auf der stand: ÇWir werden nicht alles anders, aber vieles
besser machen!Æ Der Mann war knapp ber drei¦ig, ungewa-
schen und unrasiert und hatte seit einigen Tagen nicht mehr
richtig geschlafen. Fast schien es, als wolle er liegenbleiben, da
in der Pftze. Einfach liegenbleiben, ging ihm durch den Kopf.
Aber der gro¦e breite Wirt mit der hohen Stimme und die fnf
stummen Biker wrden sicher etwas dagegen haben. Und ob das
h¦liche, magere Mdchen, das seit Stunden im Schneidersitz in
ein Mineralwasser hineinmeditiert hatte, sich fr ihn verwenden
wrde, war mehr als fraglich. Aus der Kneipe kam chinesische
Musik.
Der Mann schmeckte Regenwasser. Er fror. Aber das alles
dauerte nur ein paar Sekunden, dann stand der Mann auf und
ging in die nchste Telefonzelle. Man sah ihn telefonieren, den
Kopf gegen den Apparat gelehnt. Nach ein paar Minuten kam er
wieder heraus. Er ging ein paar Schritte und blieb vor einem
trkischen Imbi¦ stehen. Aus dem Dner wrde nichts werden.
Der Mann hatte kein Geld mehr. Er konnte jetzt nur noch war-
ten.
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Dieser Mann, der mit leerem Magen, Kopfschmerzen und ei-
nem tauben Gefhl in den Knochen vor diesem Imbi¦ stand, war
ich. Die ganze Geschichte hatte an dem Tag angefangen, als
meine Eltern sich einen Farbfernseher kauften.
Es hatte bis zum Sptsommer 1982 gedauert, bis mein Vater
uralten Schwarzwei¦fernseher auf den Mll warf und ein neues
Gert anschaffte. Wenn es nach ihm gegangen wre, htte es
nicht unbedingt ein Farbfernseher sein mssen, wahrscheinlich
war ihm ohnehin schon lange alles zu bunt, aber der Hndler
hatte einfach keine Schwarzwei¦gerte da, und das war unser
Glck. Der Apparat wurde geliefert, als die gro¦en Ferien vorbei
waren, aber das war Zufall.
Mein Vater tat immer so, als interessiere Fernsehen ihn nicht,
aber seine allabendliche ÇTagesschauÆ lie¦ er sich nicht neh-
men. Filme, Serien und Reportagen schien er immer nur wider-
willig zu sehen, nach dem Motto: Na, wenn der Fernseher schon
mal an istÈ. Das hat er nie gesagt, aber man sollte das von ihm
denken.
Meine Mutter hat immer sehr gern ferngesehen. Wenn es nach
ihr gegangen wre, htten wir schon lngst einen ÇBuntfernse-
herÆ gehabt. Aber mein Vater meinte, dafr sei kein Geld da.
Meine Mutter schttelte dann nur den Kopf und seufzte. Sie
mochte ÇWas bin ich?Æ, und wenn Robert Lembke den Gong
schlug, machte sie die Augen zu, denn dann wurden die Berufe
der Leute eingeblendet, und sie machte die Augen erst wieder
auf, wenn der Gong zum zweiten Mal ertnte, und dann ver-
suchte sie mitzuraten. Ich glaube, meinem Vater ging das ziem-
lich auf die Nerven. Aber er sagte nichts, sondern atmete nur ein
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