White, James - Jenseits des Todes.pdf

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U 387 - White, James - Jenseits des Todes
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JAMES WHITE
Jenseits des Todes
(Second Ending)
ERICH PABEL VERLAG • RASTATT (BADEN)
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1. Kapitel
Das Erwachen war für Ross mehr wie ein allmähliches
Auftauen aus einer körperlichen und geistigen Erstarrung.
Irgendwo in seinem Bewußtsein begann es und breitete
sich quälend langsam weiter aus, schmolz das Eis der Er-
starrung und taute die Kanäle des Erkennens und der Erin-
nerungen wieder auf. Er wurde sich wieder seiner Existenz
bewußt und empfand die unheimliche Kälte seiner Umge-
bung. Er erinnerte sich an andere Augenblicke dieser Art,
an die Alpträume, die diesem Erwachen folgten. Irgend
etwas stimmte nicht. Alpträume kamen normalerweise vor
dem Erwachen und nicht erst danach. Und doch wußte er,
daß die Reihenfolge jetzt umgekehrt war. Normalerweise
wäre ihm der Angstschweiß ausgebrochen, doch er war
noch zu starr; seine körperlichen Empfindungen waren
noch gelähmt. Er begann wieder zu sehen; die weißen Ne-
bel, die sein Bewußtsein umschwebten, hoben sich. Er sah
ein Gesicht – das Gesicht Beethovens.
Irgend jemand hatte die Haare der Gipsbüste gefärbt und
das Gesicht geschminkt, so daß es lebendig wirkte. Das
mußte unweigerlich zu Schwierigkeiten führen, denn die
Büste stand in Dr. Pellews Sprechzimmer. Dr. Pellew lieb-
te solche Späße nicht und würde den Schuldigen zur Re-
chenschaft ziehen.
Ross’ Gedankenströme flossen schneller, die Kombina-
tionen wurden komplizierter. Er verlangte Auskunft von
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seinem Gedächtnis, aber dieses Gedächtnis war noch blok-
kiert und chaotisch. Ross seufzte und bekam gleich darauf
einen Schreck. Beethoven sprach zu ihm!
„Wenn der Patient erwacht, darf er keine plötzlichen
Bewegungen machen“, sagte eine Stimme, die wie die Dr.
Pellews klang. „In seinem Zustand können heftige Bewe-
gungen die Muskeln schädigen. Der Patient muß dazu ge-
bracht werden, sieh nur langsam zu bewegen. Dabei muß
auf die Gefühle des Patienten Rücksicht genommen wer-
den. Er muß immer wieder hören, daß er geheilt worden ist
– geheilt worden ist – geheilt worden ist – ge …“
Es klang wie eine fehlerhafte Schallplatte. Ross hörte
sich die monotone Wiederholung sechs Minuten lang an
und begehrte schließlich auf. „Halt’s Maul, verdammt noch
mal! Ich glaube es ja schon.“
Die Stimme verstummte sofort. Ross spürte einen sanf-
ten Druck im Rücken, dann einen Schmerz im Kopf, im
Genick und in den Beinen. Er begriff, daß seine Lage ver-
ändert wurde. Er lag offenbar auf einer Liege, die nun ge-
knickt wurde, so daß sein Oberkörper aufgerichtet wurde.
Auch die untere Hälfte knickte ab und zwang ihn, sich ei-
nen Halt zu suchen. Der Vorgang war außerordentlich
schmerzhaft, obwohl die Sache mit unendlicher Geduld
durchgeführt wurde. Ross hätte am liebsten laut geschrien,
doch er unterließ es, denn er hätte seine Lungen plötzlich
mit Luft füllen müssen, was weitere Schmerzen zur Folge
gehabt hätte.
Er saß schließlich ziemlich aufrecht, fühlte Boden unter
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den Füßen und einen breiten Riemen, der ihn festhielt. Er
konnte nicht viel sehen, denn die Schmerzen machten ihn
rasend. Die Umgebung schien auch dunkel zu sein; nur das
merkwürdige Gesicht leuchtete aus der Finsternis. Wieder
hörte er die Stimme.
„Bei Dauerbehandlung kann es emotionelle Schwierig-
keiten geben.“ Ross bemerkte, daß die Büste sprach, ohne
die Lippen zu bewegen. „Der Patient erwacht in einer
fremden Umgebung und empfindet naturgemäß Angst. Es
muß jemand da sein, der seine Herkunft kennt, denn nur
die Kenntnis der Vergangenheit des Patienten ermöglicht
es dem Helfer, den Schock zu lindern Es hilft auch, den
Patienten mit Dingen zu umgeben, die er kennt. Wertvoller
persönlicher Besitz ist dabei vorrangig zu verwenden …“
Ross blinzelte. Er konnte nun besser sehen und seine
Umgebung erkennen. Er befand sich auf einer merkwürdi-
gen Bahre in der Mitte eines kleinen Raumes. Er sah ein
Bett, mehrere Wandregale und den mit einer gummiartigen
Schicht bedeckten Fußboden. Vor ihm stand ein Instrumen-
tenwagen mit der Beethovenbüste, drei glänzenden Behäl-
tern und seiner Brieftasche. Die Brieftasche war geöffnet,
so daß er das Bild von Alice sehen konnte.
„Der Patient muß Nahrung zu sich nehmen und mit
Muskelübungen beginnen. Dazu muß er gleich nach der
Wiederbelebung in eine sitzende Stellung aufgerichtet
werden. Die flüssige Nahrung ist unbedingt erforderlich –
unbedingt erforderlich …“
Wieder hörte Ross die unablässige Wiederholung eines
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